Karl Rösch: Franz Josef Strauß. Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim 1949-1978 (= Geschichtswissenschaften; Bd. 32), München: Utz Verlag 2014, 614 S., 73 Abb., ISBN 978-3-8316-4392-9, EUR 49,00
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Franz Josef Strauß (1915-1988) gehört zu den bekanntesten Politikern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Als Bundesminister, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender beeinflusste er die Entwicklung Bayerns und (West-)Deutschlands nachhaltig. Schon zu seinen Lebzeiten polarisierte er, und bis heute scheiden sich an ihm die Geister wie an kaum einen zweiten Politiker. Für die einen ist er ein fast unerreichbares leuchtendes Vorbild - die CSU feiert dieses Jahr seinen 100. Geburtstag -, für die anderen bleibt er das politische Feindbild Nummer eins. Sein enormer Einfluss und die unterschiedlichen Beurteilungen seines Handelns führten ebenso wie seine facettenreiche Persönlichkeit dazu, dass schon während seiner aktiven Zeit viel über ihn geschrieben wurde. Die meisten Publikationen haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind fokussiert auf Strauß als Landes- und Bundespolitiker; im Mittelpunkt stehen seine politischen Spitzenämter.
Karl Rösch hat nun eine bislang unbeachtete Rolle untersucht. In seiner Dissertation geht er der Frage nach, wie der CSU-Politiker seinen Aufgaben als Bundestagsabgeordneter nachkam - Strauß war von 1949 bis 1978 direkt gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestags im oberbayerischen Wahlkreis Weilheim. Rösch wertete für seine Studie nicht nur die Akten der Bundeswahlkreisgeschäftsstelle und die einschlägigen Dokumente im Nachlass Strauß aus. Er recherchierte auch in den lokalen Tageszeitungen und befragte ehemalige Weggefährten des CSU-Politikers.
Bevor er sich dem Handeln von Strauß widmet, skizziert Rösch die "Rahmenbedingungen" (14). Dabei möchte er zeigen, dass sich Strauß schon bald nach seinem ersten Wahlsieg 1949 als Vertreter der Wahlkreisbevölkerung verstand und sich als solcher nachhaltig für ihre Interessen einsetzte. Ohne das Gegenteil behaupten zu wollen, muss man doch feststellen, dass sich der Autor hier fast ausschließlich auf Aussagen von Strauß in der regionalen Presse sowie auf seine Äußerungen im Wahlkampf stützt (74-83). Dadurch drängt sich leicht der Verdacht auf, ob Rösch hier vielleicht nur auf die typische Politikerrhetorik hereingefallen sein könnte. Will man ihn nachhaltig entkräften, wird man nicht darum herumkommen, die Arbeit des Abgeordneten Strauß im Bundestag und in seinen Ausschüssen genauer zu untersuchen. Rösch behandelt diese Frage aber nur auf der Basis von Artikeln in der regionalen Presse; dementsprechend knapp fallen seine späteren Ausführungen zu diesem Punkt aus.
Anschließend beschreibt der Autor den Wahlkreis Weilheim. Seine Ausführungen erinnern allerdings mehr an einen Reiseführer und tragen nicht viel zur späteren Analyse bei. Die Darstellung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen bleibt in den 1950er Jahren stecken. Lediglich die Skizze der Medienlandschaft erstreckt sich, wenn auch nur schlagwortartig, bis in die späten 1970er Jahre. Nach diesen Vorarbeiten nähert sich Rösch langsam dem Kern der Untersuchung. Er beschreibt die wichtigsten Personen im Wahlkreisumfeld sowie den Aufbau und die Arbeit der Wahlkreisgeschäftsstelle. Den Schwerpunkt des Buches bildet das zehnte Kapitel, in dem Rösch ausführlich die Arbeit des Abgeordneten Strauß in seinem Wahlkreis analysiert. Er geht dabei auf nahezu jeden Aspekt ein, der mit der Tätigkeit eines gewählten Volksvertreters verbunden ist. Neben den Aufgaben, die quasi direkt aus dem Bundestagsmandat resultieren - Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation mit der Bevölkerung, Bearbeitung von Petitionen -, fragt Rösch auch nach den Finanzen, nach dem Verhältnis von Strauß zu den Orts- und Kreisverbänden der CSU sowie nach seinen Beziehungen zu den politischen Funktionsträgern in der Region. Abgerundet wird die Analyse der Wahlkreisarbeit durch die Beschreibung der Bundestagswahlkämpfe zwischen 1949 und 1978; Rösch widmet dem Wahlkämpfer Strauß sogar ein eigenes Kapitel.
Die Anlage des Buches und die Fülle der Beispiele bringen es mit sich, dass die zeitliche Entwicklung etwas zu kurz kommt. Strauß hat sich nicht zu jedem Zeitpunkt seiner Abgeordnetentätigkeit mit den gleichen Methoden und der gleichen Intensität um die Belange seines Wahlkreises gekümmert. Das konstatiert auch Rösch. Er unterteilt die 29 Jahre, in denen Strauß das Mandat innehatte, in drei Phasen: die "Etablierungsphase" 1949-1955, die "Konsolidierungsphase" 1956-1969 und die "Repräsentationsphase" 1970-1978. Er benennt schlagwortartig die wichtigsten Kennzeichen der einzelnen Zeitabschnitte, die sich in erster Linie auf die Art der Kommunikation mit den Wählern beziehen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Autor diesem Punkt mehr Aufmerksamkeit geschenkt und ihn systematischer entwickelt hätte. Eine feingliedrigere Periodisierung hätte dem leicht schematisch wirkenden Werk sicherlich gut getan, und die je nach Zeitpunkt unterschiedlichen Anforderungen an Strauß wären - ebenso wie das jeweils charakteristische Verhalten - deutlicher zu Tage getreten. Der entsprechende Abschnitt "Strategien und Anforderungen" im 10. Kapitel (168-194) vermag eben das nicht zu leisten, weil sich der Autor bei der Analyse der Arbeitsbelastung nicht an den einzelnen Perioden orientiert.
Auch der Begriff "Repräsentationsphase" überzeugt nicht ganz und führt leicht zu Missverständnissen, denn Rösch will klar machen, dass Strauß in dieser Phase vor allem als CSU-Vorsitzender und weniger als Bundestagsabgeordneter agierte und von den Wählern so wahrgenommen wurde. Die Verwirrung ist komplett, wenn er zwar am Anfang schreibt, dass es sich nicht um die Repräsentationsfunktion eines Parlamentsabgeordneten handelt (25), dagegen aber am Ende seines Buchs das Auftreten von Strauß quasi zur idealen Ausprägung der Repräsentationsfunktion eines Abgeordneten erklärt (416 f.).
Dennoch wird niemand, der sich künftig mit der politischen Biographie des Abgeordneten Strauß befasst, an diesem Buch vorbeikommen. Auch wenn nicht alle angesprochenen Bereiche ausführlich abgehandelt werden, vermittelt es doch einen ersten Eindruck von der Vielfalt der Aufgaben, mit denen sich Strauß in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter konfrontiert sah. Während sich für die Geschichte der CSU kaum neue Erkenntnisse gewinnen lassen - das hatte Rösch auch nicht vor -, gewinnt man neue Einblicke in die politische Arbeit von Franz Josef Strauß, die vielleicht helfen können, mit alten Klischees aufzuräumen.
Umso bedauerlicher ist die Tatsache, dass die Studie nicht frei von handwerklichen Schwächen ist, die sich bei einem sorgfältigeren Lektorat leicht hätten vermeiden lassen können. Das gilt für die uneinheitliche Gestaltung der Fußnoten ebenso wie für das - im Übrigen unvollständige - Quellen- und Literaturverzeichnis, in dem man sich nicht immer leicht zurecht findet, weil etwa die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte und die Politischen Studien der Hanns-Seidel-Stiftung bei den Quellen statt bei der Forschungsliteratur eingeordnet sind. Schwerer als diese störenden, aber lässlichen "Sünden" wiegen fehlende oder unvollständige Belege sowie der mitunter etwas sorglose Umgang mit Zitaten. In Kapitel 5.1 wird die Homepage des Bundestags mehrfach fast wörtlich wiedergegeben; nur einzelne Stellen wurden verändert, allerdings sind die entsprechenden Passagen nicht als Zitat ausgewiesen, sondern lediglich als Paraphrase. Es wäre zu wünschen, dass sich Autor und Verlag um eine Beseitigung dieser Defizite bemühen, sollte das Buch eine zweite Auflage erleben.
Richard Büttner