Hermann Wellenreuther: Heinrich Melchior Mühlenberg und die deutschen Lutheraner in Nordamerika, 1742-1787. Wissenstransfer und Wandel eines atlantischen zu einem amerikanischen Netzwerk (= Atlantic Cultural Studies; Vol. 10), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013, X + 710 S., ISBN 978-3-643-12358-9, EUR 99,90
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Hermann Wellenreuther / Thomas Müller-Bahlke / A. Gregg Roeber (eds.): The Transatlantic World of Heinrich Melchior Mühlenberg in the Eighteenth Century, Wiesbaden: Harrassowitz 2013
Auf 710 Seiten wird das Leben des lutherischen Geistlichen Heinrich Mühlenberg erörtert, der nach dem Schulbesuch in dem Städtchen Einbeck besonders in Göttingen und Halle eine dezidiert konfessionell-lutherische Prägung erhielt, die ihn sein Leben lang kennzeichnete.
Vom Direktor der Franckeschen Stiftungen 1742 nach Amerika entsandt, entwickelte Mühlenberg hauptsächlich über Briefe eine rege Kommunikation mit deutschen und amerikanischen Akteuren. Von 1742 bis etwa 1765 kamen die maßgeblichen Impulse aus Deutschland. Wellenreuther spricht hier von einem atlantischen Netzwerk. Zugleich waren auch lutherische Geistliche in Nordamerika Mühlenbergs Korrespondenzpartner. Es schloss sich seit etwa 1765 ein Wandel an, der vereinfacht als Wegbrechen des atlantischen und Weiterexistieren des amerikanischen Netzwerks beschrieben werden kann, welches seinerseits seit Anfang der 1770er Jahre immer weniger Akteure einband.
Wellenreuthers Studie wird durch drei Interessensperspektiven geprägt. Mühlenberg etablierte zum einen eine lutherisch rückgebundene neue koloniale Kultur. Entscheidend hierfür war des Weiteren der Wissenstransfer insbesondere Hallescher Vorstellungen und Glaubensüberzeugungen und schließlich die Schaffung und Vergewisserung sozialer Beziehungen in einem Netzwerk, welches sich bei der Einflussnahme auf Kirchengemeinden und Vermittlung bei Konflikten bewährte.
Mühlenberg agierte im Netzwerk teilweise als Makler, teilweise als zentraler Akteur. Er vergaß selten bei der Kommunikation fremder Interessen auch ganz eigene Interessen zu sichern. Indem Hermann Wellenreuther konzentriert die Netzwerkarbeit seines Protagonisten als dessen Erfolgsprinzip identifiziert und belegt, entspricht er eigentlich nur dem, was Mühlenberg ausmachte. Die Tiefe und der Umfang der Publikation geben Wellenreuther die Freiheit zu freimütigen Bewertungen. So wird Mühlenberg etwa als "schlechter Prediger", der es nicht verstand "komplexe theologische Materien zu durchdringen" (90) qualifiziert.
Zwar lässt sich keine Flut von Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex ausmachen, allerdings erfreut sich die Erforschung der Geschichte deutsch-amerikanischer evangelischer kirchlicher Beziehungen wachsendem Interesse in der Forschung. Nicht zuletzt hat der mittlerweile emeritierte Amerikahistoriker Hermann Wellenreuther als Herausgeber und Autor eine ganze Reihe von einschlägigen Forschungen publiziert.
Neben der konfessionellen Bindung war "das Problem des Wissenstransfers" (V) Mühlenbergs eigentliches Lebensthema. Dass er den Wissenstransfer meisterhaft beherrschte und er das konfessionelle Luthertum in dem Bundesstaat der USA Pennsylvania und weit darüber hinaus etablierte, dass er fast in einer Art kirchlicher Parallele zur traditionsvergewissernden Funktion der Pilgrimväter der Mayflower seit dem 19. Jahrhundert als der entscheidende Impulsgeber für die Etablierung des Luthertums in den USA galt und gilt, rechtfertigt, dass Wellenreuther mit dieser Publikation erstmals eine umfangreiche, wissenschaftliche Biografie Mühlenbergs vorgelegt hat.
Carsten Linden