Rezension über:

Konrad Hirschler: Medieval Damascus. Plurality and Diversity in an Arabic Library. The Ashrafīya Library Catalogue (= Edinburgh Studies in Classical Islamic History and Culture), Edinburgh: Edinburgh University Press 2016, X + 525 S., ISBN 978-1-4744-0877-6, GBP 85,00
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Rezension von:
Stephan Conermann
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Conermann: Rezension von: Konrad Hirschler: Medieval Damascus. Plurality and Diversity in an Arabic Library. The Ashrafīya Library Catalogue, Edinburgh: Edinburgh University Press 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/29188.html


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Konrad Hirschler: Medieval Damascus

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Konrad Hirschler ist während seiner Forschung mehr zufällig auf ein hochgradig interessantes Dokument gestoßen, nämlich auf einen etwa um 1270 von einem Bibliothekar namens al-Ansari verfassten Katalog der Ashrafiyya-Bibliothek in Damaskus. Die Erschließung dieses Textes eröffnet uns einen einmaligen Blick in die Welt der Bücher im Nahen Osten vor der Erfindung des Buchdrucks. Einmalig deshalb, da vor der Osmanenzeit kein vergleichbares Dokument auf uns gekommen ist. Wir besitzen bisher allein im weiteren Sinne verwandte Quellen: Ein Inventar der Moscheebibliothek in Kairouan aus dem Jahre 1293/4 mit 125 Titeln, eine umstrittene Buchliste mit mehr als 900 Titel aus den Aleppiner Bibliotheken oder die berühmte Bibliographie (K. al-Fihrist) von Ibn Nadim (gest. 995 oder 998). Vor uns liegt nun die vorbildliche Edition, Übersetzung und Auswertung des Katalogs, der insgesamt 2269 Bände aufführt. (90) In der Analyse geht es vor allem darum, (1) den historischen Kontext, (2) das Ordnungssystem und (3) das inhaltliche Profil zu beschreiben.

Syrien und Ägypten gehörten in der Mitte des 14. Jahrhunderts sicher zu den weltweit führenden Bildungszentren. Die "Buchrevolution"(Beatrice Gründler) des 9. Jahrhunderts hatte einen Prozess der Textualisierung und Popularisierung von Texten in Gang gesetzt, der schließlich auch zur Entstehung von neuen, lokalen Stiftungsbibliotheken führte. Die Ashrafiyya ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Im ersten Hauptkapitel beschreibt Hirschler ihre Geschichte, wobei er ein besonderes Augenmerk auf das Zustandekommen der Buchbestände wirft. Der ayyubidische Sultan al-Malik al-Ashraf (gest. 1237) ließ neben zwei Unterrichtstätten für Traditionswissenschaften sein eigenes Mausoleum erbauen. Dieser Bau im Kallasa-Viertel in der Nähe zur Umayyadenmoschee diente in erster Linie der Erinnerung an den verstorbenen Herrscher. Hinzu kam - allerdings nicht sehr prominent ausgeflaggt - die Unterstützung der Gelehrsamkeit in Form einer Bibliothek und einer nicht so gut bezahlten Professur. Es kann deshalb nicht allzu sehr verwundern, dass die Ashrafiyya keine großen Gelehrten anzuziehen vermochte. Woher kamen nun die Bücher? Den Grundbestand bildete natürlich die Sammlung des Herrschers selbst. Im Laufe seiner Regierungszeit war es ihm gelungen, eine klar profilierte Kollektion aufzubauen, die sich offenkundig nicht an einem Ort befand, sondern die der Sultan im Rahmen des vorherrschenden Reisekönigtums stets mit sich führte. Nach al-Malik al-Ashrafs Hinscheiden konnte sein Nachfolger darüber nach Belieben verfügen. Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit entschied sich der Herrscher offensichtlich dazu, seine Sammlung - oder zumindest große Teile davon - in den Stiftungsbestand seines Mausoleums zu überführen. Des Weiteren wurden zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter ungeklärten Umständen die privaten Bücher des ayyubidischen Verwaltungsbeamten und Hadith-Interessierten al-Ashraf Ahmad, die er eigentlich der Stiftung seines Vaters al-Qadi al-Fadil vermacht hatte, in den Bestand der Ashrafiyya eingefügt. Die Bibliothek konnte sich letzten Endes nicht dauerhaft halten. Der Unterricht kam zu Beginn des 15. Jahrhunderts zum Erliegen, und größere Teile der Werke nahmen die Osmanen nach der Eroberung Syriens als Beute mit nach Istanbul. Noch heute befinden sich 143 Manuskripte aus der Ashrafiyya in der Sülemaniya-Bibliothek.

In dem nächsten Kapitel stellt uns der Verfasser das Klassifikationsschema des Katalogs vor. Es wird deutlich, dass der Text verfasst worden ist, um dem Benutzer den Zugang zu den Büchern zu erleichtern. Hirschler geht aber davon aus, dass die erhaltene Fassung wohl nur eine erster Entwurf und noch nicht die Endversion war. Da es wohl kein etabliertes System gab, musste sich al-Ansari eine plausible und nutzerfreundliche Ordnung ausdenken. Das ist ihm sehr gut gelungen. Der Bibliothekar entwickelte ein dreistufiges Modell: (1) Alphabet, (2) Größe, (3) Thema. Alle Bücher wurden zunächst alphabetisch - also von alif bis ya - nach ihren Titeln aufgenommen. Nach jedem der 28 Buchstaben gab es dann einen Vermerk, ob es sich um ein Normalformat oder um ein Kleinformat handelte. Hieran fügt sich eine Angabe zum Inhalt an. Al-Ansari folgt hier einer eher pragmatischen Einteilung in 15 Bereiche, die sich grundsätzlich von den rein wissenschaftlichen Kategorisierungsversuchen eines al-Farabi (gest. 951) oder Ibn Khaldun (gest. 1406) unterscheiden: Überlieferungswissenschaften I (insbesondere: Koran, Hadith), Überlieferungswissenschaften II (Hadith, Predigten), Überlieferungswissenschaften III (Fiqh), Philologie I (Grammatik, Lexikographie), Philologie II (Geschichte), Poesie I (vor- und frühislamisch), Adab I, Adab II, Rationale Wissenschaften I (Astronomie, Oneiromantie), Rationale Wissenschaften II (Medizin, Pharmakologie), Poesie II (spätabbasidisch und folgende Epochen), Poesie III (spätabbasidisch und folgende Epochen; Gebete), Poesie IV (Anthologien), Adab III (häufig vergeben bei unvollständigen Handschriften), Adab IV (Dichtung, Kommentare). Da bei den Normalformaten alle 15 und bei den Kleinformaten acht Kategorien zur Geltung kommen, stehen alles in allem 644 Einteilungen zur Verfügungen. Eine Angabe A/n/5 heißt somit: Das Werk beginnt mit Alif und es handelt sich um ein normal großes Manuskript mit eher historischem Inhalt. Natürlich sind im Alltag nicht alle Kategorien vergeben worden und hie und da hat der Bibliothekar auch bei den Titeln pragmatische Zugeständnisse gemacht. Ein gesondertes Problem stellten schließlich die sehr beliebten Sammelhandschriften dar, bei denen mit Verweisen gearbeitet werden musste. Neben Verweisen auf die Regale, auf denen die Bücher übereinander in Buchkisten lagerten, finden sich in dem Katalog noch Hinweise auf die Anzahl der Bände (muǧallad) und Kapitel/Teile (ǧuzʾ). Darüber hinaus scheint es eine Inventarisierung gegeben zu haben, denn ein kleines am Ende eines Eintrages deutet auf ṣaḥḥa, ṣaḥīḥ = "in Ordnung" hin.

Das intellektuelle Profil der Ashrafiyya-Bibliothek ist letzten Endes sehr divers, wobei Hirschler einen quantitativen Schwerpunkt in den Bereichen Adab und Poesie ausmachen kann. Als Grund führt er plausibel die zunehmende Adabisierung der Religionsgelehrten und die damit einhergehende Ulamaisierung dieses Genres seit dem 11. Jahrhundert an. Hinzu kommt die Funktion der Bibliothek als öffentliche Damaszener Bücherei. Zwar stellten die Gelehrten sicherlich den Hauptteil der Nutzer, doch hat Hirschler in seiner Studie "The Written Word in the Medieval Arabic Lands. A social and cultural history of reading practices" (Edinburgh 2011) bereits überzeugend gezeigt, dass seit dem 13. Jahrhundert immer mehr Personen, die nicht zu dem Kreis der ʿulamāʾ gehörten, Zugang zu Bildung erhielten. Damit änderte sich auch der Adressatenkreis einer normalen Bibliothek in Damaskus. Gleichzeitig begann sich auch das Curriculum an den Medresen zu wandeln. Antike Autoren wurden nun ebenso gelesen wie Werke zur Medizin, Staatslehre oder Philosophie.

In den verbleibenden beiden Kapiteln kann sich der Leser dann selbst ein Bild von dem Katalog machen. Die Übersetzung und die Edition sind, soweit ich das beurteilen kann, sehr sauber und philologisch auf höchstem Niveau.

Konrad Hirschler hat seine zu Beginn der Arbeit formulierten Hauptziele, nämlich (1) den historischen Kontext der Ashrafiyya-Bibliothek zu erarbeiten, (2) den Katalog für künftige Forschung verfügbar zu machen, und (3) eine erste Analyse dieses Dokumentes vorzunehmen, bestens erfüllt. Eine faszinierende Quelle!

Stephan Conermann