Tiziana Di Maio: Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer. Zwischen Überwindung der Vergangenheit und europäischem Integrationsprozess (1945-1954) (= Italien in Geschichte und Gegenwart; Bd. 34), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2014, 395 S., ISBN 978-3-6316-4564-2, EUR 69,95
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Es handelt sich um die Übersetzung der Dissertation der Verfasserin, die ursprünglich 2004 erschienen ist. Für die deutsche Ausgabe wurde sie in einigen Bereichen bibliografisch erweitert. Der griffige Titel mag bei der Lektüre zunächst irritieren, denn die persönlichen und politischen Beziehungen zwischen Adenauer und De Gasperi nehmen nur zwei der fünf Kapitel ein. Eigentlich hätte das Buch "Studien zur Wiederannäherung Deutschlands und Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der christlich-demokratischen Parteien" heißen können. Die Parteibeziehungen zwischen CDU/CSU und Democrazia Christiana (DC) sind das eigentliche Thema.
Tiziana Di Maio zeichnet zunächst ein Stimmungsbild der Wahrnehmung Deutschlands durch italienische Journalisten und Diplomaten in den ersten Jahren nach dem Kriegsende, die auch Selbstwahrnehmung war und in der sich die komplizierte geistige Verfassung Italiens zwischen faktischem Besiegtsein und der Chimäre der Cobelligerenza (der "Mitkriegführung" gegen Deutschland) spiegelt. Vor diesem Hintergrund skizziert sie die Entwicklung der italienischen Deutschlandpolitik unter De Gasperi als Ministerpräsident der Jahre 1945 bis 1953. Den Wendepunkt zu einer aktiven Haltung sieht auch die Verfasserin überzeugend im Jahre 1947. Zuvor hatte sich die italienische Diplomatie auf bescheidene operative Ziele beschränkt, etwa Südtirol gegen Aspirationen eines befürchteten bayerisch-österreichischen Zusammenschlusses zu halten (87; was hätte wohl Andreas Hofer dazu gesagt?). Nach dem Friedensvertrag, nach dem Scheitern der Londoner Konferenz und nach De Gasperis Entscheidung für das westliche Lager vollzog die italienische Regierung im Grunde die US-amerikanische Deutschlandpolitik mit. Die Verfasserin sieht darin keine Abhängigkeit von Washington, wie sie De Gasperi seit seiner USA-Reise von 1947 vorgeworfen wurde, sondern einen Beweis italienischer Handlungsfähigkeit. Auf die Entwicklung von De Gasperis persönlichem Denken fällt dabei aus den herangezogenen Akten des italienischen Außenministeriums wenig Licht. Die Quellen zeigen ihn als stillen Empfänger und Leser vielsagender Berichte.
Im Übergang zu den Parteikontakten erhellt die Verfasserin aufschlussreich das Deutschlandbild im politischen Katholizismus Italiens, das wichtige Impulse durch Pius XII. erhielt. Die Offenheit der DC speiste sich aus verschiedenen Quellen: Dem Präzedenzfall der Haltung des Partito Popolare nach dem Ersten Weltkrieg, der imaginierten historischen Kontinuität Luther - Preußen - Hitler, von der das stärker katholisch geprägte Westdeutschland weniger belastet sei, und den Analogien der nationalen Lage: dem Besiegtsein und dem Wunsch, das faschistische Regime als wesensfremde und aufgezwungene Episode zu deklarieren. Deutschfeindlich war außerdem schon der innenpolitische Gegner, die Kommunisten. Mit dieser Haltung korrespondierte auf deutscher Seite der traditionelle Ultramontanismus, der seine Bastion in Bayern und nunmehr in der CSU hatte. Deren Vorsitzender, Josef "Ochsensepp" Müller, konnte schon 1947 den Kontakt mit De Gasperi herstellen und 1948 Rom besuchen (die Verfasserin hat hierzu Archivalien in der Hanns-Seidel-Stiftung ausgewertet). Die erfolgreiche DC wurde auch von der entstehenden Bundes-CDU als Vorbild intensiv studiert.
An dieser Stelle setzt die Verfasserin ein, um die Beziehungen zwischen Adenauer und De Gasperi weniger als Staatsmänner denn als Parteiführer nachzuzeichnen. Insbesondere arbeitet sie quellengesättigt die zentrale Rolle der Journalistin Lina Morino als Bindeglied heraus. Adenauer hatte sie 1948 kennengelernt und pflegte mit ihr einen sehr vertrauten Umgang (232). Auch in den Parteiapparaten war sie vorzüglich vernetzt und bot während der EVG-Debatte den deutschen Positionen in der DC-nahen Presse eine Bühne. Die Verfasserin zeigt auch, wie sich das beiderseitige Verhältnis nach dem Triumph der CDU/CSU und den empfindlichen Verlusten der DC in den jeweiligen Parlamentswahlen von 1953 umkehrte: Nun orientierte sich die DC an den erfolgreichen Deutschen, und auch politisch wuchs Adenauer umso mehr in die Führungsrolle hinein, je mehr De Gasperi in Sachen EVG und Triest unter Druck geriet.
Die Verfasserin postuliert eine "special relationship der Jahre 1951-1953" (308) zwischen De Gasperis Italien und Adenauers West-Deutschland - verwurzelt in der tiefen geistigen Verbundenheit beider Staatsmänner, gestützt auf ein Parteiennetzwerk und ausgerichtet auf das gemeinsame Projekt der EVG. Dem ist zuzustimmen. Die menschliche und geistige Nähe zwischen beiden Staatsmännern war singulär und trug wesentlich zu der sehr raschen diplomatischen Wiederannäherung ab 1951 bei. Die Verfasserin weist anhand von Akten des Auswärtigen Amts auf die wichtige Rolle des ersten Botschafters der Bundesrepublik in Rom, Clemens von Brentano, als Mittelsmann hin (350ff.) und auf De Gasperis Wirken für einen deutsch-französischen Ausgleich in der Saarfrage. Sie kontrastiert ihre Betonung der persönlichen Beziehungen mit den Konflikten, die Adenauer in der Endphase der EVG-Verhandlungen mit De Gasperis Nachfolger Mario Scelba, dem Ministerpräsidenten der Jahre 1954/55, hatte. Angesichts der guten Zusammenarbeit mit dessen Nachfolger Antonio Segni, die auch eine persönliche Komponente hatte, bei der Vorbereitung der Römischen Verträge - die die Verfasserin nicht mehr streift - kann aber gefragt werden, ob hinsichtlich der praktischen Politik die Jahre bis 1953 wirklich derart herausstechen. Ein ähnlicher Vergleich könnte für die Parteibeziehungen in der Ära des DC-Vorsitzenden Amintore Fanfani angestellt werden, der die Partei nach links öffnete. Die Verfasserin betont das idealistische Wirken Adenauers und De Gasperis für die Idee eines geeinten Europas christlicher Prägung und sieht beide politisch geradlinig auf dieses Ziel hinarbeiten. Gerade für die Zeit bis zur Lösung der Triestfrage ist an die italienische Außenpolitik aber auch die Frage nach Elementen traditioneller Machtpolitik zu stellen: Sollte durch die Umarmung der Bundesrepublik nicht auch ein deutsch-französisches Duumvirat in Europa verhindert werden? Carlo Sforza, De Gasperis Außenminister von 1947 bis 1951, hat ein alternatives nationalliberales Narrativ zur Begründung des italienischen Integrationsstrebens, nämlich durch internationale Zusammenschlüsse Hebelwirkung bei der Durchsetzung nationaler Interessen zu gewinnen, 1948 in seiner Rede in Perugia offen formuliert, auf die Di Maio durchaus hinweist (348).
Keinen guten Dienst hat dem Werk die deutsche Übersetzung getan, die Stilblüten wie "progressive Befreiung" (45) und "possibilistisch" (71) enthält und durch offenbare Vertauschung von Adjektiven für 1947 die Existenz einer "deutschen Italienpolitik" postuliert (127).
Insgesamt zeigt diese wertvolle Studie auf, wie Anfang der 1950er Jahre eine bestimmte Geisteshaltung und die Parteien, die diese trugen, politische Weichen für die europäische Integration stellten.
Holger Berwinkel