Isabella Lazzarini: Communication and Conflict. Italian Diplomacy in the Early Renaissance, 1350 - 1520, Oxford: Oxford University Press 2015, X + 326 S., ISBN 978-0-19-872741-5, GBP 65,00
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Diplomaten gehören seit langem zum Mythos der Renaissance in Italien: als angeblich illusionslos der reinen verità effettuale, der schonungslosen Wahrheit über den Menschen und die Macht verpflichtete Erforscher des Faktischen und damit Bahnbrecher einer auf Empirie und Objektivität beruhenden Weltsicht. Speziell die venezianischen Gesandten haben es unter diesem Blickwinkel zu Berühmtheit gebracht; ihre Schlussrapporte gelten seit Ranke als Primärquellen für die Ermittlung von Geschichte, wie sie wirklich war. Die vorliegende Studie zeichnet als Summe der Forschung und langjähriger eigener Untersuchungen nicht eben überraschenderweise ein sehr viel differenzierteres Bild. Zwischen 1350 und 1520 - im Zeitraum, den die Verfasserin als "langes Quattrocento" bezeichnet - bilden sich, parallel zur Ausbildung und Konsolidierung einer stark zersplitterten, durch zahlreiche Abstufungen von Souveränität und Herrschaft fast unüberschaubar und nahezu unregulierbar gewordenen italienischen Staaten- oder besser: Territorienlandschaft Formen und Methoden der Kommunikation sensu stricto aus, die vielfältigen Zwecken wie der Informationsbeschaffung, aber auch der gezielten Desinformation der Gegenseite, der Überredung, aber auch der Überwältigung, in jedem Fall aber der politischen Selbstbehauptung und Positionsstärkung und als oberstes Ziel der Vermeidung bewaffneter Konflikte dienen.
Diplomatie als Instrument einer vorrangig auf Deeskalation gerichteten Politik: das setzt einen langen Prozess der Erfahrungssammlung, Schulung, Einübung und Perfektionierung voraus, den die Verfasserin um die Mitte des 15. Jahrhunderts zur Reife gelangen sieht. Um diese Zeit gelingt etwas, das man - über die Diktion der Studie hinausgehend, aber ihre Argumentation zusammenfassend - geradezu als "Diplomatisierung" des politischen Raumes bezeichnen kann. Konflikte - so die Leitthese - finden weiterhin statt, werden in bestimmten Fällen nicht nur in Kauf genommen, sondern als Klimabereinigung sogar gesucht, bleiben aber durch die Verfeinerung der diplomatischen Domestizierung stärker als zuvor beherrschbar und eingrenzbar.
Wie, unter welchen historischen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln es dazu kommt, wird in den ersten Hauptkapiteln ausführlich nachgezeichnet: durch Umrisse der geographischen Tätigkeitsfelder und der Quellen, durch die Rekrutierung des Personals, die Chancen, Risiken, Radien und Grenzen der Informationsbeschaffung, der Verhandlungsformen, der damit verbundenen Ritualisierungen und vor allem der Ausbildung einer ganz speziellen Semiotik. Zu diesem Aspekt hat das insgesamt faktengesättigte, sachkundige und nüchtern urteilende Buch am meisten Neues zu sagen, hier wird aus über weite Strecken dominierendem nüchternem Kompendium innovative Analyse. Durch die Elaborierung einer diplomatischen Metasprache, deren Semantik nur Eingeweihten zugänglich ist, wird das Geschäft der Politik professionalisiert. Zugleich steigen damit die Anforderungen an die Diplomaten selbst steil an: Ein und dasselbe Wort kann je nach Kontext Verschiedenes, manchmal sogar Gegenteiliges, bedeuten, Worte müssen daher wie nie zuvor gewogen und beide Seiten, Sender und Empfänger, in der Kunst der Dechiffrierung geschult werden. Aus diesem neuen Jargon der Diplomatie bildet sich dann in gleitendem Übergang das Vokabular einer neuen Politiktheorie heraus, die sich die neuen Differenzierungen zunutze macht, um die grobschlächtigen Sprach- und Wertmuster der Tradition zugunsten einer wirklichkeitsnäheren Bestandsaufnahme der Macht und ihrer Techniken zunutze zu machen. Diese Entwicklung kulminiert bekanntlich im Werk Machiavellis, der sich als Diplomat der Republik Florenz ein Begriffsspektrum ausbildet, das dann während der erzwungenen Muße nach 1513 nur noch in ein theoretisches Konzept eingefüllt werden muss.
Allerdings - so die Verfasserin weiter - barg die Perfektionierung der neuen Politiksprache auch Gefahren, vor allem dann, wenn die Rhetorik der Humanisten in sie Eingang fand. Dann konnte die Sprache der Diplomatie die Diplomaten und ihre Auftraggeber an den Höfen selbst täuschen: durch den Entwurf allzu optimistischer Szenarien und vor allem durch die Überschätzung der eigenen Ressourcen sowie der italienischen Kultur im Verhältnis zum "barbarischen" Rest-Europa. Gefahren ergaben sich logischerweise vor allem dann, wenn die zunehmend hermetische Metasprache der italienischen Diplomatie mit den Kommunikations- und Perzeptions-Modi der Außenwelt kollidierte. Diesen Umschlagpunkt sieht die Verfasserin 1494 erreicht, als das Heer König Karls VIII. von Frankreich Italien kurzfristig militärisch überrennt - die Niederlage der Generäle ist so gesehen auch eine Schlappe der Diplomaten, deren Sprache sich in den nachfolgenden Jahrzehnten den übermächtigen Modellen Frankreichs und Spanien anpasst und so ihre Eigenständigkeit verliert.
Gerade weil diese Anpassung überzeugend nachgewiesen und das Jahr 1494, ganz im Sinne Francesco Guicciardinis, als Zäsur bestätigt wird, erscheint das Konzept des "langen 15. Jahrhunderts" fragwürdig, eher müsste von einem sehr kurzen Quattrocento zwischen etwa 1420 und 1494 gesprochen werden. Auch an der "Befriedungsleistung" der Diplomatie im Kernzeitraum der Studie sind gelinde Zweifel erlaubt. Der päpstliche Nepotismus ab 1471 lässt sich mit diplomatischen Mitteln gerade nicht eindämmen, von der Krisenexplosion infolge der Pazzi-Verschwörung ganz zu schweigen. Zudem sticht eine Lücke ins Auge: Das Metier der Diplomatie dient nicht zuletzt den Interessen der Diplomaten selbst, ja, Diplomatie kann zum generationenübergreifenden Familien-Geschäft werden, das das Familienkapital materiell und symbolisch erhöhen und den Familienstatus anheben soll. Über all diese Aspekte würde man gern mehr erfahren.
Ungeachtet dieser kritischen Bemerkungen ist das Buch ein Standardwerk, das in jede gut sortierte Präsenzbibliothek gehört.
Volker Reinhardt