Hans-Jürgen Bömelburg (Hg.): Polen in der europäischen Geschichte. Band 2: Frühe Neuzeit. 16. bis 18. Jahrhundert, Stuttgart: Anton Hiersemann 2017, VIII + 924 S., 7 Kt., ISBN 978-3-7772-1710-9, EUR 364,00
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Man wird mit Fug und Recht sagen können, dass Handbücher zu den Stärken und dann auch bleibenden Erträgen der deutschsprachigen Historiografie gehören. Sie sind freilich immer Großunternehmungen, die nicht einfach zu koordinieren sind. Das "Handbuch der Geschichte Russlands" [1], das im gleichen Verlag erschien wie das hier zu besprechende Werk, erblickte sukzessive in verschiedenen Lieferungen über einen Zeitraum von knapp dreißig Jahren das Licht der Welt. Dass sich Paradigmen, Konzepte, thematische Schwerpunkte in sich wandelnden Zeitkontexten dabei ändern, liegt auf der Hand. Aber wenn es darum geht, faktografisch dichte, sorgsam interpretierende und die Teildisziplinen der Geschichte abdeckende Beiträge überzeugend zu konzeptualisieren, kann das Wagnis glücken. Wo dies nicht gelingt, wie etwa im Falle der "Cambridge History of Russia" aus dem Jahr 2006 [2], erhält man eher Aufsatzsammlungen, die in ihren Einzelteilen zwar anregend zu lesen, teils aber wenig dicht sind und vor allem keinem starken konzeptionellen Grundgedanken folgen.
Der nun komplett vorhandene zweite Band eines wissenschaftlichen Handbuchs der Geschichte Polens von den Anfängen bis 1989, das auf insgesamt vier Bände angelegt ist, beansprucht für sich, das erste ausführliche Referenzwerk zur gesamten polnischen Geschichte in deutscher Sprache zu sein. Es unterscheidet sich durch seine internationale Autorenschaft, vor allem auch aus Polen selbst, von dem erwähnten Vorgängerunternehmen "Handbuch der Geschichte Russlands". In der Tat ist es nach dem Ende des Kalten Krieges bei aller Unübersichtlichkeit in Europa und der Welt, aber auch aufgrund der Spezifik der deutsch-polnischen Beziehungen wohl kaum angängig, aus deutscher Perspektive über Polen zu schreiben. Das Werk setzt einen Schwerpunkt auf die vergleichende Einordnung der polnischen in die europäische Geschichte, die internationalen Verflechtungen der polnischen Geschichte sowie die Anteile, welche verschiedene ethnische und religiöse Gruppen daran hatten, und es wird meines Erachtens in dem Band zu Polen-Litauen in der Frühen Neuzeit diesem Anspruch gerecht.
Die Geschichte Polen-Litauens und seines Nachbarn im Osten, des Moskauer Reiches im 16. und 17. Jahrhundert bzw. des petrinischen Imperiums, ist eine Konfliktgeschichte, die in den außenpolitischen Kapiteln insgesamt ausgewogen beschrieben wird. Es wird eine Geschichte erzählt, in der sich die Mächteverhältnisse ändern, schließlich immer mehr zuungunsten Polen-Litauens verschieben und bekanntermaßen in den Teilungen der Republik enden - und Russland war hier ein Hauptakteur, der in seinen Auseinandersetzungen immer auch historisch argumentierte. Damit ist das Charakteristikum angesprochen, das im Handbuch deutlich herausgearbeitet wird. Sowohl Polen-Litauen als auch Russland waren multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Gebilde, deren Regierungen unterschiedlich mit den ukrainischen, belarussischen, tatarischen und anderen Untertanenschaften umgingen, immer aber, auch dies wird deutlich, Loyalität erwarteten. Wo dies nicht gegeben war, etwa beim Übertritt von Adligen aus dem Großfürstentum Litauen in Moskauer Dienste an der Wende vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, kam es zum Konflikt.
Bewährtes wurde aus der Konzeption des Handbuchs der Geschichte Russlands beibehalten. Der Band wird mit einem Überblick über Forschungstendenzen und Quellenlage eröffnet (souverän Hans-Jürgen Bömelburg), in dem zugleich die chronologischen Eckpunkte des Begriffs "Frühe Neuzeit" diskutiert und interessante Einblicke in die historiografiegeschichtliche Entwicklung geboten werden. Bömelburg erwähnt gleich im ersten Absatz (1) die "internationale Großmachtstellung" des polnisch-litauischen Unionsstaates, die "ständepolitische Ausgestaltung der Repräsentativverfassung" und "die Durchsetzung libertärer Freiheitsvorstellungen mit breiten Mitsprachemöglichkeiten für den Adel", die die Anlage des Bandes geleitet haben. Für den Rezensenten, dessen Blick gleichsam von Osten auf das frühneuzeitliche Polen-Litauen erfolgt, sind daher auch jene Kapitel bedeutsam, aus denen erhellt, warum sich die Gesellschaftsverfassungen derart unterschiedlich entwickelten, dass Klaus Zernack in seiner Doppelgeschichte Polens und Russlands von zwei Wegen in der europäischen Geschichte sprechen konnte. [3] Dass dies im Falle Polen-Litauens kein spannungsfreier und teilweise auch ein asymmetrischer Prozess war, geht aus dem Beitrag von Kolja Lichy hervor ("Vom dynastischen Unionsreich zur parlamentarischen Union von 1569"). Er beleuchtet, informiert und eigene Schwerpunkte setzend, die Wandlung der Union, die Rückwirkung auch auf die außenpolitischen Beziehungen zum Moskauer Staat und das Verhältnis zu den Kosaken haben sollte.
Die den Außenbeziehungen gewidmeten Kapitel sind informativ, kommen dem grundlegenden Informationsbedürfnis zu Kriegen, Diplomatie und Friedensschlüssen nach und binden in der Regel auch die Wechselwirkungen zwischen territorialem Gewinn bzw. Verlust und den Herausforderungen für die innere soziale und gesellschaftliche Entwicklung gut zusammen. Den Beiträgen von Robert Frost, fraglos ein herausragender Experte für die von ihm auch schon monografisch behandelten Themen, merkt man an, dass sein Schwerpunkt nicht auf den polnisch-moskauischen Beziehungen liegt. Er ist, was für ein Handbuch dieses Zuschnitts durchaus vertretbar ist, knapp mit Belegen. Russischsprachige Historiografie fehlt jedoch völlig. Almut Bues in ihrem Kapitel zu "Neuorientierungen im System der europäischen Staatenbeziehungen" flicht die Moskauer Perspektive immerhin über das Standardwerk von Maike Sach ein [4], während Bogusław Dybaś in seinen Kapiteln "Mächtepolitische Neuorientierungen: Bündnisdiplomatie und Reichspolitik bis zur Begründung der sächsisch-polnischen Union" sowie "Schwedischer Druck und offensive Politik im Osten. Außenpolitik 1609-1648" die unterschiedlichen historiografischen Traditionen und Narrative zusammenbringt und dabei auf eigene Deutungen nicht verzichtet. So führt er etwa zum Ewigen Frieden von 1686 zu Recht aus, dass nach dem Friedensschluss diese Machtverschiebung nur in Teilen von den polnischen Eliten auch zeitgenössisch so eingeordnet, in Teilen aber weiter Ansprüche gegenüber Russland gestellt wurden. Dybaś spricht von einer fortgesetzten Fehlwahrnehmung der polnischen Politik (401-403). Und er verweist auf die Länge mancher Auseinandersetzungen. Smolensk als von Polen und Russland beansprucht zieht sich etwa durch die gesamte frühe Neuzeit. So hat Dybaś' Wertung manches für sich, dass der Vertrag von Deulino 1618 als Revanche für die Eroberung Smolensks durch Moskau 1514 gesehen werden kann (318).
Die Kapitel zu den internationalen Beziehungen im 18. Jahrhundert nach 1716/1717, dem entscheidenden Zeitpunkt für die Außensteuerung Polen-Litauens vor allem durch Russland, aber auch die beiden anderen "schwarzen Adler" Preußen und Österreich, werden von Heidi Hein Kircher und vor allem Michael G. Müller nachgezeichnet. Vor allem Müller hat sich seit Jahrzehnten immer wieder mit dem Weg in die Teilungen und den Teilungen selbst beschäftigt. Zu Recht wird in diesen Kapiteln immer wieder darauf verwiesen, dass es bei allen Plänen der späteren Teilungsmächte und Überlegungen zu Ländertausch und Länderschacher (Karl Otmar von Aretin) keine Zwangsläufigkeit gab, die auf ein finis poloniae hinausliefen, auch nach 1772 nicht (445f.). Gerade diese Artikel zeigen aber auch, dass eine Trennung zwischen den internationalen Beziehungen und den inneren Entwicklungen kaum möglich ist. Das galt schon für die Verflechtung zwischen kosakischen Aufständen, Moskauer Expansion und Niederlagen polnischer Politik im 17. Jahrhundert; dies gilt auch für Reformbewegung im Inneren und Aggression von außen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Insgesamt gibt es an diesem umfassend angelegten Handbuch wenig Kritik zu üben. Polen in Europa zu konturieren ist gerade in der Epoche vor den Nationalstaaten notwendig und in dem zweiten Band auch gelungen. Natürlich ist ein solches Buch immer auch ein Nachschlagewerk. Dies bedingt eine Trennung des Stoffes in eingeführte Themenfelder der Geschichte, die in der Forschung teils seit längerer Zeit zusammen erforscht und auch dargestellt werden. Aber diese Form ist immer auch ein Verlust an Vollständigkeit. In den einschlägigen Kapiteln jedenfalls wird eine ansprechende europäische Verflechtungsgeschichte geboten - auch mit den östlichen Nachbarn Polen-Litauens.
Anmerkungen:
[1] Manfred Hellmann / Stefan Plaggenborg / Gottfried Schramm / Klaus Zernack u.a. (Hgg.): Handbuch der Geschichte Russlands, 6 Bände in mehreren Teilbänden, Stuttgart 1981-2006.
[2] Maureen Perrie / Dominic Lieven / Ronald Suny (eds.): The Cambridge History of Russia, 3 vols., Cambridge / New York 2006.
[3] Klaus Zernack: Polen und Russland. Zwei Wege in der europäischen Geschichte, Berlin 1994.
[4] Maike Sach: Hochmeister und Großfürst. Die Beziehungen zwischen dem Deutschen Orden in Preußen und dem Moskauer Staat um die Wende zur Neuzeit, Stuttgart 2002.
Jan Kusber