Volker Meid: Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Barockliteratur, Stuttgart: Reclam 2017, 261 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-15-011145-1, EUR 24,00
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Fabian Schulze: Die Reichskreise im Dreißigjährigen Krieg. Kriegsfinanzierung und Bündnispolitik im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018
Jan Peters (Hg.): Peter Hagendorf - Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg, Göttingen: V&R unipress 2012
Peter H. Wilson: Europe's Tragedy. A History of the Thirty Years War, London: Allan Lane 2009
Johannes Burkhardt: Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart: Klett-Cotta 2018
Wilhelm Schmidt-Biggemann / Friedrich Vollhardt (Hgg.): Ideengeschichte um 1600. Konstellationen zwischen Schulmetaphysik, Konfessionalisierung und hermetischer Spekulation, Stuttgart / Bad Cannstadt: Frommann-Holzboog 2017
Wolfgang Behringer / Eric-Oliver Mader / Justus Nipperdey (Hgg.): Konversionen zum Katholizismus in der Frühen Neuzeit. Europäische und globale Perspektiven, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2019
Thomas Leinkauf: Grundriss Philosophie des Humanismus und der Renaissance (1350-1600), Hamburg: Felix Meiner Verlag 2017
Wieder ein Jahrestag, wieder ein Festival des Jubiläumsjournalismus. Die große Zahl der neuen Bücher zum Dreißigjährigen Krieg (von Herfried Münkler, Georg Schmidt, Bernd Roeck, Peter H. Wilson und anderen) ist ein typisches Beispiel für die zunehmende (wenngleich gewiss nicht neuartige) Neigung des Buchmarkts wie der Medien, Publikationen alleine wegen des Kalenders zu würdigen, auch wenn sie von keinerlei 'heutiger' Fragestellung motiviert sind. Gerne lässt man sich das bei literarischen Jahrestagen gefallen, wie etwa dem 250. Todesjahr von Laurence Sterne, des Tristram Shandy, den man schon lange wieder lesen wollte (und sollte) und der in die Gegenwart ja niemals passt - und immer. Aber bei historischen Ereignissen ist das doch anders.
Das Büchlein des Germanisten Volker Meid in der Reclamreihe mit festem Einband ist ersichtlich ebenfalls eine dem Kalender geschuldete, offenbar leicht erweiterte Reprise früherer Arbeiten [1], aber sie gehört zu denen, die erfreulicherweise gar nicht erst den unplausiblen Versuch machen, dem Leser einleitend oder anderswo nahezubringen, warum man sich gerade im Jahre 2018 mit diesem Thema befassen sollte, das heißt, man kann sich in diesem Fall ganz ohne künstliche Aktualisierung mit dem Thema beschäftigen. Es gibt dafür zwar keinen aktuellen Anlass - aber warum sollte man sich nicht auch im Jahre 2018 für den Dreißigjährigen Krieg interessieren, so wie man das zum Beispiel - um ein beliebiges, jubiläumsfreies Jahr zu nennen - 1983 tun konnte oder hätte tun können, als die höchst verdienstvolle kommentierte Neuausgabe von Georg Greflingers Kriegschronik erschienen ist? [2]
Die Literatur dieser Zeit sei "ausgesprochen politisch" (8), und ihre Vielfalt anschaulich zu machen, ist das Ziel des Bandes, der in 4 große Kapitel gegliedert ist. Kapitel 1 "Politisch-geistlicher Raufhandel: der Weg in den Krieg" behandelt die 'böhmische Krise', unter anderem den Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618, die dritte in der Tradition der sogenannten Defenestrationen, offenbar einer interessanten Spezialität der böhmischen Diplomatie. In Kapitel 2 "Krieg der Worte" geht es um die Heldenverehrung und die je nach Konfession verschiedenen Feindbilder: den "Winterkönig" Friedrich V. von der Pfalz, böhmischer König nur einen Winter lang (1619/20) und bis zur Schlacht am Weißen Berg im November 1620 Hoffnung der Protestanten; Gustav Adolf, den "Löwen aus Mitternacht" und gottgesandten miles christianus; den kaiserlichen Heerführer, den Belgier Johann T'Serclaes Graf von Tilly, der nach der Eroberung von Magdeburg mit Feuer und Schwert (1631) im folgenden Jahr in der Schlacht bei Rain am Lech tödlich verletzt wird, und schließlich die schillerndste Gestalt von allen, jenen böhmischen Freiherrn Albrecht Wenzel von Waldstein, seit Schiller immer Wallenstein genannt, Machtmensch und Kriegsgewinnler, der 1634 ermordet wird. Das Kapitel 3 "Krieg", das Kapitel mit dem größten Umfang (83-183), versammelt Zeugnisse oft, aber nicht allein religiöser Orientierung über die Kriegsereignisse und ihre Verheerungen aus unterschiedlicher Sicht, im Alltag, in der Stadt und auf dem Land, unter den Soldaten, im Nonnenkloster, Kriegspropaganda und Dokumente der Friedenssehnsucht, Dichtungen unter anderem von Justus Georg Schottelius und Jesaias Rompler von Löwenhalt, von Grimmelshausen, Andreas Gryphius ("Thränen des Vaterlandes/ Anno 1636") und die "Trostgedichte" des Calvinisten Martin Opitz. Schließlich enthält Kapitel 4 "Frieden! Frieden?" Texte zu den Friedensverhandlungen, die aus Anlass der in der Reichsstadt Nürnberg veranstalteten Friedensfeiern von 1648 entstanden sind, vor allem solche der sogenannten Nürnberger Dichterschule, darunter Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und Sigmund von Birken. Treffend ist auch die Wahl des Poems von Georg Greflinger als Epilog, "Der Mars ist nun im Ars" (1651), ein glänzendes Beispiel für den artistischen Sprachwitz eines der noch heute lesbarsten Poeten des deutschen Barock: "Es hat genug gedauret, daß der Mars | Hat Ars getrillt, nun ist der Mars im Ars", schließt die erste Strophe (213).
Die Darstellung Meids ist beides in einem: ein guter Überblick über wichtige Aspekte des Dreißigjährigen Krieges und eine reiche Anthologie literarischer Texte des deutschen Barock. Ein Hauptverdienst ist dabei die Einbeziehung einer Fülle nichtfiktionaler Sachliteratur, mit dem Tagebuch des Soldaten Peter Hagendorf, das von 1625 bis 1649 reicht, als einem herausragenden Beispiel. [3] Neben den berühmten Barock-Autoren findet der schwäbische Protestant Georg Rodolf Weckherlin, der in London Ämter im Umkreis des Hofes und des Parlaments bekleidete, ehe er später als Hofdichter in Stuttgart amtierte, eine ungewöhnliche, aber berechtigte Beachtung, auch wenn man ihn nicht gleich für den "bedeutendsten deutschen politischen Dichter des 17. Jahrhunderts" (56) halten muss.
Vermisst wird ein Hinweis auf die verschiedenen, auch von der Barockforschung bis heute sträflich vernachlässigten Wallenstein-Dramen [4], und von dem so bedeutenden, meist neulateinisch schreibenden Autor Johann Valentin Andreae, der gewiss nicht weniger 'politisch' war als sein Landsmann Weckherlin, wird nicht einmal der Name genannt, von seinem Klagelied über die Zerstörung der Stadt Calw ("Threni Calvenses", 1635) nicht zu reden. [5] Dennoch ein im Ganzen gelungener Band, zu dessen nützlichem Gebrauch Kurzbiographien der wichtigsten Barockautoren im Anhang und 25 schwarzweiße Abbildungen, meist zeitgenössische Kupferstiche, beitragen.
Anmerkungen:
[1] Zu Volker Meid bei Reclam vgl. neben vielem anderen besonders: Barock-Themen. Eine Einführung in die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts. Stuttgart 2015 (RUB 17687), darin Teil IV: Krieg und Frieden (93-122).
[2] Georg Greflinger: Der Deutschen Dreyßig-Jähriger Krieg. Poetisch erzählet durch Celadon von der Donau (1657). Repr., kommentiert und mit einem Nachwort von Peter Michael Ehrle. München 1983.
[3] Vgl. den Neudruck: Peter Hagendorf - Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg. Hrsg. von Jan Peters. 2. Aufl. Göttingen 2012.
[4] Dramen von protestantischer Seite von Rist und Haugwitz sind wohl verloren, von katholischer liegt neben einem "Drama de Tillio et Fridlando" von Thomas Widmann (1635), einem "Albertus Wallenstein. A Tragedy" von Henry Glapthorne (1639) und einem "Fridlandus" von Franz Xaver Markovich (Wien 1661) eine neuere, lat.-franz. Edition des "Fritlandus" des Löwener Rhetorikprofessors Nicolaus Vernulaeus (Nicolas de Vernulz) vor: "Un 'Wallenstein' néo-latin: 'Le duc de Friedland' (1637) par Nicolaus Vernulaeus." Texte édité par Jean-Marie Rousseau, et traduit, avec une préface, par Henri Plard. Brüssel 1989. Das Vorwort von H. Plard ist die einlässlichste Arbeit, die über den Autor und sein Werk überhaupt zu finden ist. Vgl. die ältere Edition in: Coligny, Gustav Adolf, Wallenstein. Drei zeitgenössische lateinische Dramen von Rhodius, Narcissus, Vernulaeus. (Mit einem Vorwort) hrsg. von Johannes Bolte. Leipzig 1933.
[5] Vgl. Martin Brecht: Johann Valentin Andreae 1586-1654. Eine Biographie. Göttingen 2008, 199-202, 205-232 u. 329 (Gustav Adolf als politischer Erlöser und eine Art "imaginärer Übervater" des vaterlosen Autors Andreae).
Herbert Jaumann