Ulrich Köpf: Martin Luther. Der Reformator und sein Werk, Stuttgart: Reclam 2015, 254 S., ISBN 978-3-15-011042-3, EUR 22,95
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Wenn der letzte Wissenschaftliche Leiter der großen kritischen Weimarer Lutherausgabe (bis 2009) ein eher schmales Lutherbuch mit dem Untertitel "Der Reformator und sein Werk" herausgibt, kann man eine eng an den Schriften Luthers orientierte Darstellung erwarten, die theologisch konzise in die Gedankenwelt Luthers einführt. Genau dies leistet Ulrich Köpfs Monografie - genau dies ist zugleich auch ihre Grenze. Der emeritierte Tübinger Kirchenhistoriker folgt der Vita Luthers in 36 kurzen Abschnitten, die gerahmt werden von zwei Kapiteln zu den Quellengrundlagen und einer abschließenden Wertung ("Wer war Martin Luther?"). Der Band richtet sich an ein breiteres Publikum, verzichtet auf Anmerkungen, bietet - neben einem Personenregister - lediglich wenige summarische Literaturhinweise am Schluss und vermeidet die Erörterung von Forschungskontroversen mit Ausnahme dreier exemplarischer Schilderungen im ersten Abschnitt (Geburtsjahr Luthers, Datierung und Zweck der Romreise, Thesenanschlag). Diese Reduktion führt zu einer gut lesbaren, flüssigen Darstellung, gegenläufige Positionen fallen dabei aber unter den Tisch, etwa in der Debatte um den Thesenanschlag. [1]
Köpf geht es vor allem darum, die theologische Entwicklung des Reformators von ihren universitären Anfängen über die frühreformatorischen Konfliktkonstellationen bis hin zu den späten Kontroversen nachzuzeichnen. Die Prägungen durch die spätmittelalterliche Frömmigkeit und Theologie, insbesondere durch seinen Klostereintritt, werden mit wenigen, präzisen Strichen skizziert: "im zweiten, entscheidenden Drittel seines Lebens [...] lebte er als Mönch" (20). Das Ordensumfeld Luthers, die Bedeutung seines Ordensvorgesetzten und geistlichen Mentors Johann von Staupitz und die Romreise werden mit beachtlicher Detailkenntnis aufgrund der neuesten Forschungsbeiträge [2] beschrieben. Als "umstürzende Erkenntnis" (42) wertet Köpf Luthers reformatorische Einsicht, deren Entwicklung früh begonnen und zunächst zur Verdrängung des Aristotelismus zugunsten einer augustinisch orientierten Theologie geführt habe, den durch lange Forschungsdebatten geprägten Begriff der "reformatorischen Wende" vermeidet er jedoch. Ohne genaue zeitliche Näherbestimmung skizziert Köpf Luthers Entwicklung zur reformatorischen Theologie als einen längeren Weg, der - mit der Unterstützung humanistischer Forderungen und dem Bemühen um Unterricht in den antiken Sprachen - ein Angriff auf das herkömmliche Bildungswesen gewesen sei.
Die Stärken von Köpfs Darstellung liegen in den theologiegeschichtlichen Abschnitten: Ablasstheologie und die Genese des Ablassstreits werden gekonnt umrissen, die wichtigen programmatischen Reformschriften Luthers aus dem Jahr 1520 (An den christlichen Adel, De Captivitate Babylonicae Ecclesiae, Von der Freiheit eines Christenmenschen) beschreibt Köpf knapp, aber theologisch genau. Die Werke der Wartburgzeit und die beiden großen Konfliktthemen dieser Monate, Zölibat und Kirchenreform, erfahren eine erfreulich ausführliche Würdigung.
Dagegen wird Köpfs Lutherbild bei Themen, deren Darstellung stärker auf historische Zusammenhänge angewiesen ist, blasser, weil die Kontexte häufig nur angerissen werden. Luthers Hinwendung zur Judenfeindschaft ab 1526 wird nicht näher ergründet: "Wir wissen nicht, was Luthers Sinneswandel gegenüber 1523 veranlaßt hat. Doch geistige Rückschritte sind meist emotional bedingt. Vermutlich haben persönliche Erlebnisse Luthers Haltung beeinflußt" (231). Die Darstellung von Luthers Konflikt mit den sogenannten radikalen Reformatoren (1523-25) beschränkt sich in Köpfs Werk auf Karlstadt und Müntzer und vor allem auf die in diesem Zusammenhang gewechselten Flugschriften. Auch die Auseinandersetzung mit dem Bauernaufstand erfolgt vor allem aus der Perspektive von Luthers Schriften; immerhin wird die Kritik an Luthers aggressivem Pamphlet "Wider die mörderischen und räuberischen Rotten [...]" ausführlich referiert. Wie sehr die Luther-Perspektive dominiert, zeigt auch der Abschnitt zum Augsburger Reichstag 1530, der ausführlich die Verhandlungen mit Luther über den Text der "Confessio Augustana" thematisiert, auf dieses zentrale Bekenntnis der evangelischen Stände, insbesondere der Wittenberger Reformation, aber nur knapp eingeht - offensichtlich, weil es sich um einen von Philipp Melanchthon konzipierten Text handelt.
Am Ende seines Büchleins folgert Köpf aus der Vielfalt und Konkurrenz der Lutherbilder: "Luther wird man nur gerecht, wenn man ihn vor dem Hintergrund seiner Zeit sieht" (243). Der Verfasser zielt damit vor allem auf die mittelalterliche Prägung des Reformators, der kein Vorkämpfer emanzipatorischer Tendenzen gewesen sei, sondern ein zu scharfer Polemik neigender, Gegner als Feinde verketzernder Theologe. Sein tief vom Gottesglauben geprägtes Denken habe in der Theologiegeschichte eine tiefe Zäsur bewirkt, im westlichen Christentum den Weg zu Spaltung und Pluralisierung der Kirche eröffnet und mit seiner schöpferischen Sprachbegabung erheblich zur Entstehung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache beigetragen. Vielleicht mag man nicht allen Urteilen des Autors in dieser Prägnanz folgen. In Köpfs Lutherbuch findet man gleichwohl hilfreiche, ebenso knappe wie präzise, Skizzen seiner Theologie und ihrer spätmittelalterlichen Prägung. Wer historische und theologische Kontexte tiefer ausloten möchte, greift zu anderen Werken wie z.B. dem Luther Handbuch Albrecht Beutels (Hg.) oder der Reformationsgeschichte Thomas Kaufmanns. [3]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Joachim Ott / Martin Treu (Hgg.): Luthers Thesenanschlag - Faktum oder Fiktion (= Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; 9), Leipzig 2008, und darin insbesondere der Beitrag von Bernd Moeller, Thesenanschläge, 9-32.
[2] So beruht zum Beispiel die Darstellung der Romreise wesentlich auf Hans Schneider: Martin Luthers Reise nach Rom - neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen; NF 10), hg. v. Werner Lehfeldt, Berlin / New York 2011, 1-157.
[3] Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, 3. Aufl. Tübingen 2017; Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation in Deutschland, erw. Ausgabe Berlin 2016.
Wolfgang Breul