Konrad H. Jarausch (ed.): United Germany. Debating Processes and Prospects, New York / Oxford: Berghahn Books 2013, IX + 290 S., ISBN 978-0-85745-972-5, EUR 89,95
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Auch fast 25 Jahre nach dem Ende der DDR ist der Erfolg des Projekts "Deutsche Einheit" umstritten. Dies ist der Ausgangspunkt des vorliegenden Buches. Die Wiedergeburt des gesamtdeutschen Nationalstaates mit dem Ende der Blockkonfrontation und die daraus erwachsenden unterschiedlichen Dimensionen des Einigungsprozesses sind für den Herausgeber Konrad Jarausch der Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Reflexion über die oft diametral entgegengesetzten Bewertungen der Einigung als Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichte, das Problem der "inneren Einheit" oder auch Anschlussphänomene wie Ostalgie spielen eine zentrale Rolle. Seinen Gegenstand will der Band nicht erschöpfend behandeln, dafür aber einen Eindruck von der Komplexität der Transformationsprobleme geben und eine Zwischenbilanz ziehen. Er richtet sich an ein amerikanisches Publikum, dem er eine solide Informationsbasis bieten möchte.
Die Forschung zur Geschichte und Entwicklung der deutschen Einheit war bislang vor allem sozialwissenschaftlich geprägt. Verwiesen sei auf die Fülle an politikwissenschaftlicher oder soziologischer Literatur, die sich etwa mit den Fragen der Transformation oder der "inneren Einheit" befassten. In der Geschichtswissenschaft fand die Zeit nach 1990 zunächst weniger Beachtung, was mit den einschlägigen Archivfristen erklärbar ist. Einzig die Thematisierung von DDR-Aufarbeitung hat auch unter Historikern einige Aufmerksamkeit erfahren. In dieser Hinsicht fügt sich das Buch in den Bestand sozialwissenschaftlicher Forschung ein und versucht, die "jüngste Zeitgeschichte" [1] für die Geschichtswissenschaft zu erschließen.
Der Band verfolgt fünf Schwerpunkte: den Transfer der politischen Institutionen sowie ökonomische, soziale, kulturelle und internationale Aspekte. Jede dieser Dimensionen wird interdisziplinär durch Historiker sowie Sozial- und Kulturwissenschaftler aus drei Perspektiven untersucht, nämlich von west- und ostdeutscher sowie amerikanischer Seite, wobei letzterer die Rolle eines neutralen Beobachters zukommen soll. Aufgabe der Einzelbeiträge ist zudem, Analyse und persönliche Erfahrungen der Autoren zu verbinden. Es werden sowohl konkrete Beispiele untersucht - im Schwerpunkt "Ökonomische Probleme" blickt etwa Wolfgang Seibel auf die Treuhandanstalt -, als auch allgemeine Themen behandelt - beispielsweise in den Beiträgen von Rainer Land (die fragmentierte Entwicklung in Ostdeutschland) und Ingrid Miethe (Stellung und Vermächtnis der DDR-Frauenbewegung heute).
Zu den Verdiensten dieses Bandes zählt fraglos gerade dieser Vorstoß auf das Terrain der jüngsten Zeitgeschichte und damit die Öffnung der letzten 25 Jahre für die historische Forschung. Lobenswert ist das Anliegen, die komplexe Geschichte der deutschen Einheit einem amerikanischen Publikum zugänglich zu machen. Methodisch birgt die in der Dreierperspektive strukturell angelegte Multiperspektivität einiges Potential - es wäre wünschenswert, wenn der eine oder andere Sammelband sich durch dieses Format inspirieren ließe. Der interdisziplinäre Ansatz ist angesichts der Komplexität des Gegenstandes unumgänglich und so ist die Anlage des Buches auch in dieser Frage plausibel.
Daneben sind aber auch Kritikpunkte zu nennen. Mit Blick auf den Inhalt ist es zwar nachvollziehbar, dass das Buch aus pragmatischen Gründen eine Auswahl treffen muss. Eine nähere Begründung der thematischen Schwerpunkte wäre indes schön gewesen. Der Dreiklang Ost-West-USA, wie er in dem Buch realisiert wurde, reproduziert vor allem Bekanntes. Viele der Beiträge bieten dem deutschen Leser daher wenig Überraschendes - was angesichts der Zielgruppe des Buches aber eher zu konstatieren denn zu kritisieren ist. Auch die Parallelperspektive dreier Autoren zu einem Thema, aber mit unterschiedlichem Fokus ist mit Blick auf das Grundanliegen des Buches prinzipiell eine gute Lösung. Obwohl oder gerade weil es sich nicht um einen klassischen Tagungsband handelt, hätte man aber auch über eine stärkere Verknüpfung der Einzelbeiträge nachdenken können, also die direkte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Mitautoren. Gerade hier hätte die interdisziplinäre Zusammensetzung der Autoren noch einigen Mehrwert versprochen. All dies mag dazu beigetragen haben, dass der analytische Anspruch des Buches etwas blass bleibt. Doch dies scheint auch einem weiteren Aspekt geschuldet: Die Beschäftigung mit "aktuellen" Themen geschieht oft über normative Ansätze (wie sieht "gute" Politik aus oder was sind "gelungene" politische Maßnahmen). Dies ist legitim und muss ebenso seinen Platz haben wie ein eher analytischer Zugriff. Letzteren möchte der Band auch bieten, doch gerade das "Bilanz ziehen" scheint in den Einzelbeiträgen oftmals zum Normativen zu tendieren. Der analytische Anspruch des Bandes war also möglicherweise schon im Ansatz nicht wie gewünscht einlösbar.
"United Germany" bietet letztlich eine informative Zusammenfassung für eine Reihe von Diskussionsfeldern, die für die amerikanische Zielgruppe nützlich sein kann. Die Grundanlage des Buches gibt zudem Anstöße dafür, wie eine jüngste Zeitgeschichte aussehen könnte. Gleichwohl gibt es auch Kritikpunkte, die vor allem die Umsetzung dieser eigentlich vielversprechenden Grundanlage betreffen. Es ist jedoch zu begrüßen, dass auch das vereinigte Deutschland in den Fokus historischer Forschung kommt und mit diesem Band ein Schritt in die Bearbeitung aktueller Zeitgeschichte gemacht wurde.
Anmerkung:
[1] Marcus Böick / Angela Siebold: Die Jüngste als Sorgenkind? Plädoyer für eine jüngste Zeitgeschichte als Varianz- und Kontextgeschichte von Übergängen, in: Deutschland Archiv 1/2011, 105-113.
Markus Goldbeck