Urban Claesson: Die Anfänge des Pietismus in Schweden. Olof Ekmans Kampf für eine Erneuerung des Christentums am Stora Kopparberg 1689-1713. Aus dem Schwedischen übersetzt von Ingrid Bohn (= Hallesche Forschungen; Bd. 53), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, 260 S., ISBN 978-3-447-11252-9, EUR 48,00
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Der Pietismus gilt gemeinhin als eine im lutherischen Deutschland entstandene und sich von Deutschland ausbreitende Frömmigkeitsbewegung. Die aus dem Schwedischen übersetzte Studie von Urban Claesson, Kirchenhistoriker an der Universität Uppsala, zeigt am Beispiel Schwedens, dass es dort, wo sich der Pietismus ausbreitete und wo die Impulse aus Deutschland aufgenommen wurden, durchaus zusätzliche eigene Wurzeln gab, die für die Ausbreitung und den Erfolg der neuen Frömmigkeitsbewegung maßgebend waren.
Claesson wendet sich bei seiner Untersuchung zum frühen Pietismus in seinem Heimatland einer Gestalt, einem Buch und einem Ort zu, nämlich dem Pfarrer Olof Ekman (1639-1713), seiner pietistischen Programmschrift "Seenotgelübde" und dem Ort Falun mit seinem Bergwerk Stora Kopparberg. Originell dabei ist, dass der Autor nicht nur biografischen und theologischen, sondern auch wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen nachgeht, was in der deutschen Pietismusforschung eher unüblich ist - 1978 erntete Joachim Trautwein mit seiner Studie "Religiosität und Sozialstruktur" nur Widerspruch.
Ekman veröffentlichte seine an Speners Pia desideria (1675) erinnerte Programmschrift im Jahre 1680, nachdem er 1678/79 in Livland gewirkt und auf der Heimfahrt in Seenot geraten war. In Lebensgefahr nahm er sich vor, die Reform der Kirche in Angriff zu nehmen. So erklärt sich der Titel des Buches, das in Schweden allerdings nur geringe Verbreitung fand und auch nicht ins Deutsche übersetzt wurde.
Der schwedische Theologe kannte Spener und dessen, ihrerseits nicht ins Schwedische übersetzte Programmschrift nicht, als er seinen Text schrieb und seine Reformforderungen erhob. Er rezipierte europaweit verbreitete Impulse von Johann Arndt und lokale Traditionen von Jesper Swedberg. Claesson zeigt auch eine Nähe zu Theophil Großgebauer, dem bis 1661 als Pfarrer in Rostock wirkenden radikalen Kirchenreformer, auf und vermutet, dass Ekman in Livland Impulse aus dem deutschen Pietismus empfangen haben könnte. Wie Spener brandmarkt er kirchliche Missstände, den "Zusammenbruch des Christentums" (64), konkret fordert er, ebenfalls wie Spener, religiöse Bildungsanstrengungen, den Aufbau einer Kirchenzucht sowie die Belebung des allgemeinen Priestertums und glaubt an eine "bessere Zukunft" (68). Anders als Spener setzt Ekman, typisch für die schwedischen Verhältnisse, auf ein Engagement des Staates für die Reform der Kirche. Claesson vermutet hier Einflüsse Großgebauers und sieht, richtig, eine Parallele zu Halle. Zur Erklärung müsste aber auch Luther herangezogen werden: Luthers Reformationsprogrammschrift, die Adelsschrift (1520), setzte ebenfalls auf die Obrigkeit. Mit Halle hatte Ekman um das Jahr 1700 brieflichen Kontakt, und in Halle gab es auch den nicht realisierten Plan, Ekmans Buch zu übersetzen.
Claessons Studie basiert auf umfangreichen, auch in Deutschland durchgeführten Quellenstudien. Die für sein Thema relevante Sekundärliteratur wird rezipiert. Im Kontext seiner Beschäftigung mit dem Pietismus-Vorläufer Joachim Lütkemann wurde aber die 2013 erschienene grundlegende Arbeit von Christian Deuper übersehen.
Die Darstellung ist sachlich, nüchtern, faktenreich und verzichtet auf gewagte Thesen. Als Leser und Rezensent hat man freilich den Eindruck, dass Claesson auf der Basis seiner Erkenntnisse sehr wohl die Frage hätte diskutieren können, ob Ekman nur Vorläufer des Pietismus in Schweden war oder nicht vielmehr der Vater eines eigenen, schwedischen, von deutschen Einflüssen weitgehend oder zumindest partiell unabhängigen Pietismus. Hat der Pietismus vielleicht doch vielerorts voneinander unabhängige Wurzeln, ist er als Frömmigkeitsbewegung zu einer bestimmten Zeit als Folge ähnlicher Umstände an mehreren Orten gleichzeitig entstanden?
Das Buch wurde sorgfältig gestaltet und ist mit einem Personen- und Ortsregister ausgestattet. Kleinere Fehler gibt es. Im Inhaltsverzeichnis wird Kapitel 3.4.6 der Seite 104 zugeordnet, richtig wäre 105. Konsequent schreibt die Übersetzerin den in der schwedischen Kirche verbreiten Titel Propst falsch: "Probst". Dass der Pietismus Franckes ein "industrielles Umfeld" hatte (XIII), kann ich nicht erkennen. Und das hallesche Bildungsprogramm ist sicherlich nicht auf Einflüsse Ekmans zurückzuführen, denn Francke hatte mit dem Aufbau von Schulen schon vor 1700 begonnen, Ekmans Buch wurde in Halle aber erst um 1700 bekannt.
Claessons Buch ist lesenswert und die Übersetzung ins Deutsche nachhaltig zu begrüßen.
Martin H. Jung