Johannes Hasselbeck: dan der krig ist ein wüdtentes tihr. Der Dreißigjährige Krieg und die Bewältigung seiner Folgen in Bamberg 16321693 (= Stadt und Region in der Vormoderne; Bd. 9), Baden-Baden: NOMOS 2021, 973 S., zahlr. Tbl., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-95650-835-6, EUR 149,00
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Liest man das Inhaltsverzeichnis durch, wähnt man sich am Beginn einer Bielefelder Studie der 1970er-Jahre: konsequent durchgehaltene 'Strukturgeschichte', Überschriften wie "Wirtschaft und Handel", "Steuern und Finanzen". Wir stoßen in der Dissertation auf keine Menschen aus Fleisch und Blut, sondern auf Gehaltslisten, Gebührenverzeichnisse, Roggenpreise, viel Demographie. Es begegnen zahlreiche Tabellen und mehr als fünf Dutzend Grafiken, letztere bilden durchgehend quantitative Entwicklungen ab, die Fußnoten lassen eine Vorliebe für serielle Quellen erkennen. Wie die Bamberger das Kriegselend mental bewältigten, ob sie sich unaufhörlich ängstigten oder aber in neue Alltagsroutinen eingewöhnten, ob der Krieg irgendwann als Normalfall menschlicher Existenz wahrgenommen wurde: Solchen Fragen ist die Doktorarbeit nicht auf der Spur, obwohl doch ein Kriegstagebuch, das besonders eindrücklich bekundet, welche Schrecknisse der Dreißigjährige Krieg mit sich brachte (die Aufzeichnungen der Anna Maria Junius, mit all ihren offen bekannten Tränen und schlaflos durchbangten Nächten), just aus Bamberg stammt. So wenig wie für die mentale Verarbeitung von Kriegsunbilden interessiert sich die Dissertation für die konzeptionellen Voraussetzungen der vormodernen Bellizität; so wird einfach gelegentlich erwähnt, das Hochstift Bamberg habe sich zeitweise für neutral erklärt, ohne dass der Leser erführe, dass diese politische Option damals noch keine fest konturierte Rechtsfigur gewesen ist und gar nicht beanspruchen konnte, vor Kriegseinwirkungen abzuschirmen. Sodann bekennt sich Hasselbeck offen dazu, "Kultur" sowie "Religion" "größtenteils ausgespart" zu haben (53) - "Kultur" darf man hier im traditionellen wie im zuletzt üblichen 'kulturalistischen' Wortsinn nehmen.
Auch wieder einmal demographische und sozioökonomische Sachverhalte zu analysieren, hält der Rezensent für legitim, und ihm gefällt, dass der Autor durchgehend die klimageschichtlichen Rahmenbedingungen (instabiles, tendenziell menschenunfreundliches Wettergeschehen in der Kernphase der Kleinen Eiszeit) mitbedenkt. Ihre methodischen Ansätze braucht man der Dissertation nicht zu verargen; wohl muss man ihr vorwerfen, dass sie den Leser bei der Suche nach Grundlinien und Entwicklungstrends - die die "Bielefelder" doch ganz ohne Scheu auszuziehen pflegten - allein lässt. Die Arbeit schließt ein "Fazit" von vier Seiten ab, aber hier werden lediglich die vergleichsweise knappen Angaben zur Nachkriegszeit ansatzweise resümiert. Jene weit über fünfhundert Seiten, die sozioökonomischen und administrativen Entwicklungen der Kriegsjahre auf der Spur sind, münden in ein karges "Zwischenfazit" von zweieinhalb Seiten. Register gibt es gar keine. Da die meisten künftigen Leser mutmaßlich diese oder jene einzelne Kriegsauswirkung mit entsprechenden Einzelaspekten anderswo vergleichen möchten (und nicht primär an Bamberger Lokalgeschichte interessiert sein werden), wäre ein gutes Sachregister schon hilfreich gewesen.
Uneingeschränkt loben darf man den immensen Recherchefleiß! Die Fußnoten füllen fast immer ein Drittel, nicht selten mehr als die Hälfte, gelegentlich neunzig Prozent der Seiten, und sie quellen geradezu über vor Archivfunden. Weil hier nicht nur aus den Archivalien herausdestillierte Zahlenkolonnen, sondern ferner ausgiebige zeitgenössische Zitate zum Leser sprechen, gewinnt der 'unter dem Strich' doch immer wieder ergreifende Einblicke in den Kriegsalltag, so, wenn es in einem fürstbischöflichen Brief heißt, "das in vnserer Statt Bamberg sich noch zimblich vil vnmündige khinder von vnsern vnderthanen vfm landt (deren Eltern in Jüngstem feindtsvnwesen [...] gestorben), vmb das brott vnd Almosen gehendt befinden, auch nächtlicher weil noch auff den gassen mehrertheils fast nackhet vnd bloss ligen". (489, Anm. 214)
So spröde die Auswertungen der vielen Grafiken im Einzelnen auch sind: In der Summe dokumentieren die eminent fleißig zusammengetragenen Zahlenreihen der Dissertation eindrucksvoll, welch "wüdtentes tihr" Deutschlands großer Konfessionskrieg auch in durchschnittlich betroffenen Regionen wie Franken (Deutschlands Südwesten traf es noch viel schlimmer) gewesen ist. Zwischen 1631 und 1640 sank die Einwohnerzahl Bambergs von ungefähr 9.500 auf wohl ungefähr 4.500 Menschen. Man könnte ähnliche Bilanzen aufstellen für das Vermögen der Einwohner, das Volumen des Stadtsäckels, für Handelsvolumina und Kreditvergaben, ja, sogar die Caritas versiegte: Eine Stiftung für "arme Bürgerstöchter" bezahlte diesen 1631/32 250 Gulden, 1635/36 hundert Gulden, seit 1638 konnte sie ihnen gar nicht mehr unter die schwachen Arme greifen. In den letzten Kriegsjahren zählte Bamberg 539 "öde, einsturzgefährdete und zerstörte Häuser". (437)
Die Nachkriegsjahrzehnte (!) standen tief im Schatten der Kriegskatastrophe, Wiederaufbau und Wiederbelebung vollzogen sich auf allen Ebenen sehr langsam. Erst in den 1690er-Jahren war die Stadt "wieder annähernd so groß wie vor dem Krieg". (843) Es mag erwähnenswert (weil für den mentalen Haushalt eines geistlichen Reichsterritoriums bezeichnend) sein, dass die öffentliche Bautätigkeit der Nachkriegszeit mit der Instandsetzung der lädierten Kirchen einsetzte. Verarmte Bauherren, geringe Nachfrage nach Wohnraum und sinkende Immobilienpreise standen ansonsten einer raschen Erholung des Stadtbilds im Wege, in vielen Stadtteilen waren die Kriegszerstörungen noch im frühen 18. Jahrhundert unübersehbar, ein Schrumpfungs- und Konzentrationsprozess ließ insbesondere die "Peripherie entvölkert und vernachlässigt zurück". (786) Überall ging es um notdürftige Wiederherstellung (wenn überhaupt), nicht um innovative Fortentwicklung. Kann man Regierung und Verwaltung, gar den Stadtbewohnern überhaupt attestieren, dass sie jahrzehntelang von einem 'Zurück zum Vorkriegszustand' geleitet wurden? Es lässt sich mit den Quellen der Dissertation nicht eigentlich beweisen, aber der Leser gewinnt doch bisweilen diesen Eindruck. Ob sich ein energischerer und der Zukunft zugewandter Stadtrat jenem obrigkeitlichen Sog, der ja im Zeichen des höfischen Absolutismus allenthalben im Reich wirksam wurde, erfolgreich hätte widersetzen können? Unübersehbar schwanden jedenfalls in den Nachkriegsjahren Selbstverwaltungsrechte und politische Freiräume. So gelang es dem Stadtrat nicht, jene städtische Vermögenssteuer namens "Wochengeld", die während der Kriegsjahre zugunsten der vielen Kontributionen fortgefallen war, danach wiedereinzuführen - eine Konsequenz war die "zunehmende Finanzierung eigentlich städtischer Aufgaben durch landesherrliche Gelder" (725), deren Verwendung zweckgebunden war.
Ziehen wir die Summe! Hasselbeck macht es seinen Lesern nicht leicht. Mangels aussagekräftiger Resümees und insbesondere eines Sachregisters müssen sie sich sogar bei recht speziellen Fragestellungen durch sehr viel Text hindurcharbeiten. Lobenswert ist, dass der Autor mit der Forschungsliteratur bestens vertraut ist, und erst recht, dass er sich ein riesiges Lesepensum in Archiven zugemutet hat. In ihrer Kombination von ungewöhnlichem Recherchefleiß mit souveräner Missachtung all dessen, was in den letzten zwanzig Jahren im Fach so 'angesagt' war, kann man die Dissertation trotz der in dieser Rezension auch angesprochenen Mängel imposant finden.
Axel Gotthard