Andreas Schrabauer: "
und der Block war judenleer". Die NS-Verfolgung von Juden in den Niederlanden und ihre Ermordung im Konzentrationslager Mauthausen (= Mauthausen-Studien; Bd. 15), Wien: new academic press 2021, 178 S., zahlr. s/w-Abb., eine Tbl., ISBN 978-3-7003-2197-2, EUR 19,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Frank Bajohr / Sibylle Steinbacher (Hgg.): »... Zeugnis ablegen bis zum letzten«. Tagebücher und persönliche Zeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust, Göttingen: Wallstein 2015
Alwin Meyer: Vergiss deinen Namen nicht. Die Kinder von Auschwitz, Göttingen: Steidl-Verlag 2015
Stephan Vogel: Fortuna Düsseldorf im Nationalsozialismus, Hamburg: Tredition GmbH 2017
Marie Bader: Life and Love in Nazi Prague. Letters from an Occupied City. Edited by Kate Ottevanger, Jan Láníček. Translated by Kate Ottevanger, London: Bloomsbury 2019
Katja Happe: Viele falsche Hoffnungen. Judenverfolgung in den Niederlanden 1940-1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017
David Barnouw: Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg. Eine Einführung, Münster: agenda 2010
Barbara Beuys: Leben mit dem Feind. Amsterdam unter deutscher Besatzung Mai 1940 bis Mai 1945, München: Carl Hanser Verlag 2012
Frits Boterman: Duitse Daders. De jodenvervolging en de nazificatie van Nederland (1940 - 1945), Amsterdam: Uitg. De Arbeiderspers 2015
Es ist eher ungewöhnlich, dass eine Diplomarbeit als Buch publiziert wird. Während bei Dissertationen eine Veröffentlichung Pflicht ist, sei es bei einem Verlag oder online, gilt diese Regel für Diplom- oder Masterarbeiten nicht. Bei der Studie von Andreas Schrabauer handelt es sich aber um eine für die Publikation überarbeitete und erweiterte Diplomarbeit. Der Grund, die Arbeit in der Schriftenreihe der Mauthausen-Studien der KZ-Gedenkstätte Mauthausen aufzunehmen, liegt sicher zum einen daran, dass die zugrundeliegende Diplomarbeit 2018 mit dem Mauthausen Memorial-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Zum zweiten, so Katharina Kniefacz von der Forschungsstelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen in ihrem Vorwort, decke die Arbeit ein "Forschungsdesiderat" (8) ab, weil sie zum ersten Mal die Verfolgung jüdischer Männer im besetzten Reichskommissariat der Niederlande und deren Deportation in das KZ Mauthausen detailliert zusammenfasse.
Als Historikerin, die sich seit Jahren intensiv mit der Geschichte der Judenverfolgung in den Niederlanden beschäftigt und dazu publiziert, kann ich die Aussage, dass die Arbeit "erstmals" (8) die Judenverfolgung in den besetzten Niederlanden thematisiert, nicht nachvollziehen. Schrabauer selbst zitiert die bisher auf Deutsch oder Englisch erschienenen Arbeiten zum Thema von Gerhard Hirschfeld, Peter Romijn, Bob Moore und mir selbst vielfach. Und auch die auf Niederländisch publizierten Arbeiten von Lou de Jong, Jacques Presser und vielen anderen finden angemessene Berücksichtigung. Was an dem Buch von Andreas Schrabauer aber tatsächlich neu ist, ist der Fokus auf die Behandlung und Ermordung der jüdischen Deportierten im KZ Mauthausen. Zu diesem Themenkomplex liegen bislang nur wenige Informationen vor. Durch seine intensive Arbeit mit den in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vorhandenen Quellen zu den Deportierten und ihrer Ermordung spricht Schrabauer hier viele neue Aspekte an.
Zunächst zum Aufbau der Arbeit. Nach der Einleitung widmet sich Schrabauer in fünf Kapiteln der Geschichte der Judenverfolgung in den Niederlanden. Nach der Emigration oder Flucht vieler Juden aus dem Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren thematisiert er den Beginn der Besatzungszeit im Mai 1940 und die folgende deutsche Repressionspolitik. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei auf Hanns Albin Rauter, den aus Österreich stammenden Höheren SS- und Polizeiführer in den Niederlanden. Das folgende Kapitel thematisiert den Februarstreik vom Februar 1941, der einen Wendepunkt im Verhalten der deutschen Besatzer in den Niederlanden markiert: Auf die erste Razzia gegen Juden in den Niederlanden am 22. Februar 1941 und die Deportation von 300 Juden in das KZ Mauthausen reagierte die Bevölkerung Amsterdams und einiger anderer Städte mit einem Generalstreik, der am 28. Februar 1941 das öffentliche Leben in vielen großen Städten lahmlegte. Die deutschen Besatzer schlugen den Streik nieder und verschärften die antijüdischen Maßnahmen in den Niederlanden erheblich, so dass im Sommer 1942 in den Niederlanden dasselbe Ausmaß von Ausgrenzung, Isolation und Entrechtung erreicht wurde wie im Deutschen Reich.
Diesen weiteren Entwicklungen widmet Schrabauer ebenfalls ein Kapitel, dem er zusätzlich einen Exkurs zum Werkdorp im Wieringermeer voranstellt, in dem junge Menschen auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereitet werden sollten. Im März 1941 räumte die Sicherheitspolizei das Werkdorp, die Insassen wurden nach Amsterdam gebracht und im Juni 1941 - oft zusammen mit ihren Amsterdamer Gastgebern - als Repressalie wegen einer Sabotageaktion nach Mauthausen deportiert. Schrabauer zeichnet ein eindrückliches Bild dieser Aktion und ihrer Genese. Sie sorgte innerhalb des Jüdischen Rats für große Verwirrung und großen Unmut. Umso erstaunlicher ist, dass Schrabauer das 2014 erschienene Buch von Bernard Wasserstein über Gertrude van Tijn nicht erwähnt [1]. Gerade Gertrude van Tijn, eine aus Deutschland emigrierte und in den Niederlanden verheiratete Mitarbeiterin des Jüdischen Rats war eng mit der Hachschara, der Vorbereitung der Auswanderung im Werkdorp verbunden und zuständig für die Alija, die Einwanderung von möglichst vielen Juden nach Palästina, um deren Überleben zu sichern. Den Bericht, den Gertrude van Tijn später aus der Erinnerung über diese Aktion schrieb, zitiert Schrabauer (77), lässt jedoch das ausführliche und deutlich mehr Informationen umfassende Buch von Wasserstein unerwähnt.
Diese Nachlässigkeit fällt jedoch nicht allzu sehr ins Gewicht. In den folgenden Abschnitten beschreibt Schrabauer kenntnisreich und umfassend die Entwicklung in den Niederlanden, vor allem den Fortgang der Deportationen, endet jedoch mit dem Sommer 1943, um sich im nächsten Kapitel den Geschehnissen im KZ Mauthausen und dem Schicksal der dorthin deportierten Niederländer zuzuwenden, dem eingangs benannten Forschungsdesiderat. In dem leider nur 26 Seiten umfassenden Kapitel bettet Schrabauer das Los der niederländischen jüdischen Gefangenen in die Geschichte des KZ Mauthausen ein. Mit eindrucksvollen Zitaten von überlebenden Häftlingen, beschreibt er das dramatische Geschehen der schnellen und brutalen Ermordung der niederländischen Häftlinge. Er thematisiert die Verbrechen des SS-Personals in Mauthausen ebenso wie die Deportation und Ermordung weiterer Niederländer im Rahmen des "Euthanasie"-Programms in Schloss Hartheim. Dieses kurze Kapitel behebt auf der Basis von spannenden Quellen aus dem Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und der zur Verfügung stehenden Literatur tatsächlich ein Forschungsdesiderat.
Insgesamt lässt sich zur Studie von Andreas Schrabauer sagen: Der weitaus umfangreichere Teil zur Geschichte der Verfolgung von Juden in den Niederlanden ist gut recherchiert und dargestellt, bietet aber keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse. Das Kapitel über die Ermordung der jüdischen Niederländer im KZ Mauthausen dagegen stellt zum ersten Mal das Los dieser Menschen in den Mittelpunkt und zeichnet aus verschiedenen Perspektiven den Weg und die Gründe für ihre Ermordung nach. Allein schon dieses Kapitel macht das Buch lesenswert für alle Personen, die sich für die Geschichte der Deportation der Juden aus den Niederlanden interessieren. Dieses Thema auszuweiten, den individuellen Schicksalen und Lebenswegen der Ermordeten noch intensiver nachzugehen, die Absichten der Täter noch deutlicher herauszustellen und zu analysieren, wäre ein spannender und sicher lohnender Ansatz für weitere Forschungen. Andreas Schrabauer hat dazu mit diesem Kapitel einen beeindruckenden Anfang gemacht.
Anmerkung:
[1] Bernard Wasserstein: The Ambiguity of Virtue. Gertrude van Tijn and the Fate of the Dutch Jews, Cambridge / London 2014.
Katja Happe