Felix de Taillez: Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit. Die Brüder Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza (= Familie - Unternehmen - Öffentlichkeit. Thyssen im 20. Jahrhundert; Bd. 6), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, 546 S., 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-78445-2, EUR 49,90
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Die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Dekaden sowohl mit dem Thema Bürgertum und Bürgerlichkeit als auch mit der sich wandelnden Rolle der (nicht zuletzt medial vermittelten) Öffentlichkeit intensiv beschäftigt. Die Münchner Dissertation von Felix de Taillez verbindet diese beiden Bereiche. Sie entstand im Rahmen des Projekts "Die Unternehmerfamilie Thyssen im 20. Jahrhundert", das das Ziel verfolgte, die Perspektiven von Unternehmens- und Familiengeschichte zusammenzuführen, die bislang weitgehend getrennt voneinander untersucht wurden.
Mit den Brüdern Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza, den Söhnen des Patriarchen August Thyssen, nimmt de Taillez zwei prominente Vertreter des Wirtschaftsbürgertums in den Blick, deren Image in der Öffentlichkeit unterschiedlicher kaum sein könnte. Die Analyse, die "auf zwei miteinander verknüpften Ebenen" erfolgt und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts umfasst, fragt zum einen nach den medial prägenden "Erfahrungen, Praktiken, Verhaltensweisen und -veränderungen"; zum anderen untersucht sie "die Brüder als medial konstruierte Personen", wodurch auch die "Strukturen und Mechanismen verschiedener Öffentlichkeiten" in den Fokus geraten (14).
Das Auftreten und die Wahrnehmung der Brüder unterschieden sich stark, und zwar von Anfang an. Heinrich machte bereits 1906 mit einem privaten Skandal Schlagzeilen; dadurch entstand das "mediale Bild eines ehrlosen, arroganten und rücksichtslosen Dandys, der auf Kosten seines reichen Vaters lebte" (478), das fortan an ihm haften blieb. In der Öffentlichkeit erschien er weniger als Unternehmer (der er nach Aufteilung des Familienkonzerns im Jahr 1926 fraglos war), sondern als Besitzer teurer (und bisweilen erfolgreicher) Rennpferde und einer ebenso kostspieligen (wenngleich unter Experten heftig umstrittenen) Kunstsammlung.
Fritz Thyssen hingegen war von Anfang an mit dem (Familien-)Unternehmen verbunden. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er im sogenannten Ruhrkampf von 1923 bekannt, als er sich standhaft weigerte, Anordnungen der französischen und belgischen Besatzungsbehörden umzusetzen, was ihm das "Image eines Nationalhelden" eintrug (76, 89, 92, 478). Kein Wunder, dass die Nationalsozialisten Fritz Thyssen als "Aushängeschild" vereinnahmten (336). Er selbst hatte dem Vorschub geleistet, indem er Hitler bereits vor dessen Machtübernahme medial eifrig unterstützte. Die Gegnerschaft zur Weimarer Republik, der Kampf gegen die Linksparteien und die Revision des Versailler Vertrags (insbesondere in der Reparationspolitik) wirkten als einigendes Band zwischen dem Großindustriellen und der NS-Bewegung.
Die zunehmende Verfolgung von Juden und Regimegegnern brachte Fritz Thyssen als tiefgläubigen Katholiken allerdings im Lauf der 1930er Jahre in Gegnerschaft zum NS-Regime, ehe die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs, den der Industrielle strikt ablehnte, im September 1939 zum Bruch führte. Die aufsehenerregende Flucht von Amélie und Fritz Thyssen, über die vor allem die "Times" und die "New York Times" berichteten, interpretiert de Taillez als "mediales Itinerar" (377). Im Frühjahr 1940 startete der Firmenchef eine Medienoffensive gegen die NS-Führung, in dem er an sie gerichtete Protestbriefe publizierte. Sie erreichte mit der Veröffentlichung der Memoiren "I Paid Hitler", die der Ghostwriter Emery Reves eigenmächtig in die Wege leitete, ihren Höhepunkt. Nach Kriegsende kostete es Fritz Thyssen einige Mühe, sich in Entnazifizierungsverfahren von dem Ruch, der Hauptgeldgeber Hitlers gewesen zu sein, zu befreien. Zwar stufte ihn die Spruchkammer schließlich als Minderbelasteten ein, doch "seinen negativen Ruf als Steigbügelhalter und Finanzier Hitlers" wurde er "zeitlebens nicht mehr los" (484).
Die Stärken der Studie liegen im Bereich der Familiengeschichte. De Taillez arbeitet die Unterschiede zwischen den Brüdern im Umgang mit der Öffentlichkeit auf breiter Quellengrundlage akribisch und überzeugend heraus. Während Fritz immer wieder versuchte, die Presse gezielt im eigenen - politischen, wirtschaftlichen und privaten - Interesse einzusetzen, blieb Heinrich erheblich zurückhaltender und zog sich bereits 1936 komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Die Analyse trägt zu einem besseren Verständnis des Agierens von Fritz Thyssen bei, über dessen Haltung zum Nationalsozialismus bereits viel geschrieben worden ist; zudem liefert sie das erste quellengestützte Porträt von Heinrich Thyssen-Bornemisza, der bislang von der Historiographie weitgehend ignoriert wurde.
Ein Problem besteht indes in der asymmetrischen Quellenlage. Während die nationale und internationale Presse über den "sehr sichtbaren Fritz" oft und ausführlich berichtete, liegen über den "nahezu unsichtbaren Heinrich" weitaus weniger Artikel und Berichte vor (14). Dies ist zweifellos eine Folge der unterschiedlichen Medienpolitik der beiden Brüder, macht den systematischen Vergleich ihrer "Bürgerleben in der Öffentlichkeit" jedoch von vornherein schwierig.
Es fragt sich zudem, ob der Begriff der "Bürgerlichkeit" für beide Thyssen-Brüder gleichermaßen zutrifft. Heinrich jedenfalls tendierte stark in Richtung Adel, nicht nur, was sein Engagement im Pferdesport und als ambitionierter Kunstsammler betrifft; die Adoption durch seinen Schwiegervater trug ihm darüber hinaus "den erblichen Adelstitel eines ungarischen Barons" ein (15). Hier scheint es um mehr gegangen zu sein als um bloße Imitation des Adels, die im Großbürgertum weit verbreitet gewesen ist. De Taillez selbst spricht denn auch vom "Image als zurückhaltender Aristokrat" (479), das Heinrich angehaftet habe.
Zur Geschichte des Unternehmens wie auch zur Bürgertumsforschung, der sie sich explizit (auch) verpflichtet sieht, trägt die vorliegende Studie nur wenig bei. Die Frage der Reichweite seiner Untersuchungsergebnisse über seine beiden Protagonisten hinaus wirft de Taillez nicht auf. So leistet die Studie zwar durchaus "einen innovativen Beitrag zur Geschichte einer einflussreichen Unternehmerfamilie im 20. Jahrhundert" (16), doch bleiben ihre Resultate weitgehend auf diese eine Familie beschränkt.
Jaromír Balcar