Rezension über:

Bernd Roeck / Andreas Tönnesmann: Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino, Berlin: Wagenbach 2005, 240 S., ISBN 978-3-8031-3616-9, EUR 24,50
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Matthias Schnettger
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schnettger: Rezension von: Bernd Roeck / Andreas Tönnesmann: Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino, Berlin: Wagenbach 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/8138.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Bernd Roeck / Andreas Tönnesmann: Die Nase Italiens

Textgröße: A A A

Bernd Roeck und Andreas Tönnesmann dekonstruieren in ihrer Biografie Federico da Montefeltros (1422-1482) einen Mythos. Gleich zu Beginn zeigen sie, ausgehend von dem berühmten Montefeltro-Diptychon in den Uffizien in Florenz, wie die (Auftrags-)Gemälde Piero della Francescas und die Panegyrik des dem Hof von Urbino eng verbundenen Florentiner Buchhändler Vespasiano da Bisticci bis in die Moderne (Jacob Burckhardt) das positive Bild Federicos prägten. Hinter der glänzenden Fassade des aufgrund eines Turnierunfalls einäugigen Fürsten (daher auch die charakteristische, dem Buch seinen Titel gebende Nasenform), der sich selbst als "gelehrte[r], fromme[r] und weise[r] Humanistenfürst" (18) inszenierte, verbarg sich jedoch eine wesentlich weniger einnehmende Persönlichkeit.

Schon der Weg Federicos auf den Thron von Urbino war nicht eben geradlinig. Als unehelicher Sohn - bzw. wahrscheinlich sogar nur Enkel - des Grafen Guidantonio da Montefeltro wurde er in Ermangelung ehelicher Nachkommen zwar legitimiert, fiel aber in der Thronfolge an die zweite Stelle zurück, als seinem (Groß-)Vater in zweiter Ehe doch noch ein ehelicher Sohn geboren wurde. Gleichwohl sorgfältig erzogen, wurde er 1433 von Kaiser Sigismund in Mantua zum Ritter geschlagen, begann 1438 seine militärische Laufbahn, zunächst im Sold des Herzogs von Mailand, und konnte hier erste spektakuläre Erfolge erringen. Der große Wendepunkt in Montefeltros Leben war die Ermordung seines Halbbruders Oddantonio am 22. Juli 1444. Während die Federico freundlich gesinnten Quellen ihn als "Retter vor dem Chaos" (37) porträtieren (und Oddantonio als Wüstling, der sein eigenes Schicksal heraufbeschworen habe), sprechen einige Indizien dafür, dass er Mitwisser oder gar Drahtzieher des Attentats war. Manchen Zeitgenossen galt er als Brudermörder, und seine Ernennung zum Herzog erfolgte erst im August 1474, dreißig Jahre und einen Monat nach der Bluttat - womit exakt die nach römischem Recht gültige Frist der Klageverjährung verstrichen war (39).

Nach der Schilderung von Jugend und Regierungsantritt Federicos schieben die Autoren zwei systematische Kapitel ein. Das Erste behandelt die Entstehung des aus einer Fülle unterschiedlicher Herrschaftsrechte zusammengesetzten "Staates" von Urbino, für den das päpstliche Vikariat die entscheidende Klammer bildete, und führt in das Mächtesystem der italienischen Pentarchie des 15. Jahrhunderts ein, wobei die ständige Gefahr, die dem "kleinen Fisch" Urbino durch die fünf "großen Fische" (Papsttum, Neapel, Venedig, Mailand und Florenz) drohte, herausgearbeitet wird. Anschließend geht es um Wirtschaft und Gesellschaft in Urbino. Vor allem dem Kriegshandwerk wird hier Aufmerksamkeit geschenkt, und das mit Recht, da "der wichtigste Exportartikel Urbinos in seinen militärischen Ressourcen bestand, die meistbietend versteigert wurden" (56). Zwar dominierten nicht die groß angelegten Feldzüge, sondern sich vielfach in Plünderungen und Brandschatzungen erschöpfende "Katzenkriege" (58), doch sie erbrachten dem condottiere stattliche Jahreseinkommen. Die Verfasser ziehen einen nicht ganz fern liegenden (wenn auch im Detail anachronistischen) Vergleich mit modernen Wirtschaftsunternehmen: "Man könnte Federico da Montefeltro & Co. tatsächlich als komplexes Wirtschaftsunternehmen beschreiben: spezialisiert auf Leasing von Söldnertruppen und Kriegsgerät. [...] Ein engagiertes Kultursponsoring und demonstrative religiöse Stiftungen täuschten über das weniger appetitliche Kerngeschäft des Hauses hinweg" (64).

Die folgenden Kapitel vollziehen immer wieder einen Perspektivenwechsel zwischen Politik und Kunst und erreichen dadurch eine Verschränkung dieser beiden Themen. Zunächst werden die Anfänge von Federicos Regierung in Urbino geschildert, die nicht ganz ungefährdet blieb: Nicht zuletzt die ins Exil geflüchteten Schwestern des ermordeten Oddantonio stellten eine latente Bedrohung dar. Subtil verschlüsselt war die Mordanklage in der "Geißelung" von Piero della Francesca, die offensichtlich von einem Gegner Federicos in Auftrag gegeben worden war. Diesem gelang jedoch die Stabilisierung seiner Herrschaft, wobei der Investitur mit dem apostolischen Vikariat durch Papst Nikolaus V. im Jahr 1447 eine zentrale Bedeutung zukam. 1462 / 1463 konnte Federico den Konflikt mit Sigismondo Pandolfo Malatesta von Rimini zu seinen Gunsten entscheiden. Auch in diesem Kontext fällt die erfolgreiche Imagepflege Montefeltros auf; zugleich wirkt das von ihm mitkonstruierte negative Bild Malatestas bis heute fort, der in der päpstlichen Bannbulle vom April 1462 als "faulendes Glied" der Kirche und "mythisches Ungeheuer" erscheint (117).

Von Beginn seiner Herrschaft an profilierte sich Montefeltro als Mäzen. In neue Dimensionen stieß er Mitte der 1460er mit dem groß angelegten Um- und Ausbau seines Palastes vor (der eher einem Neubau gleichkam), Urbino zur größten Baustelle Italiens und Federicos Namen "zum festen Begriff in der Welt der Künste" werden ließ (119). Seinem aus dem venezianischen Dalmatien stammenden Architekten Luciano Laurana räumte er weit gehende Vollmachten ein. Der Palast von Urbino wird in dem Band ausführlich beschrieben und analysiert. Neuland beschritten der Fürst und sein Architekt etwa bei der Fassadengestaltung, die sie als "Projektionsfläche eines Herrschaftsprogramms" nutzten. Auch Aufbau und Unterbringung der berühmten herzoglichen Bibliothek werden von den Autoren im Zusammenhang mit dem Repräsentationsbedürfnis Federicos gesehen. Die ansehnlichen Dimensionen des Hofs von Urbino gehen zugleich aus einer Hofordnung hervor, die zwar erst nach dem Tod Federicos schriftlich fixiert wurde, sich jedoch ausdrücklich auf die zu seinen Lebzeiten geübte Praxis bezieht.

Bis in seine letzten Tage gehörte Federico zu den umtriebigsten Akteuren auf der politischen und militärischen Bühne Italiens. Er war einer der Drahtzieher der bekannten Pazzi-Verschwörung gegen die Medici von 1478 und führte in der Folge die päpstlichen Truppen gegen Florenz. Aufgrund seiner undurchsichtigen Haltung geriet er jedoch bei Sixtus IV. in Misskredit, der ihm den Oberbefehl über die päpstlichen Truppen entzog - eine gefährliche Lage für einen päpstlichen Vasallen. Seinen letzten Feldzug führte Federico 1482 gegen das mit dem Heiligen Stuhl verbündete Venedig. In der Poebene zog er sich jedoch die Malaria zu und verstarb am 10. Dezember 1482 in Ferrara.

Der Band profitiert von der häufig eingeforderten, selten aber so konsequent umgesetzten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen einem Historiker und einem Kunsthistoriker. Wenngleich man den Autoren vielleicht nicht bei jedem einzelnen Schritt ihrer Dekonstruktion folgen mag, handelt es sich doch in jedem Fall um ein äußerst anregendes Lehrstück zum Thema "historische Mythen".

Das Buch ist ansprechend ausgestattet und verfügt über zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen, die großenteils nicht der bloßen Illustration dienen, sondern vielfach einer intensiven Analyse unterzogen werden. Der von Komposition und Umfang her an ein breiteres Publikum gerichtete Band verzichtet auf einen wissenschaftlichen Apparat, verfügt jedoch über eine Auswahlbibliografie und ein Personenregister.

Matthias Schnettger