Bernd Roeck (Hg.): Stadtbilder der Neuzeit. Die europäische Stadtansicht von den Anfängen bis zum Photo (= Stadt in der Geschichte; Bd. 32), Ostfildern: Thorbecke 2006, 320 S., ISBN 978-3-7995-6432-8, EUR 39,00
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Der vorliegende 32. Band des Südwestdeutschen Arbeitskreises zur Stadtgeschichtsforschung enthält die Vorträge von dessen 42. Arbeitstagung im November 2003 in Zürich: Die 14 Aufsätze gliedern sich in vier thematische Abschnitte; eine ausführliche Einführung in das Thema und ein Anhang mit Diskussionszusammenfassungen runden den Band ab.
Einleitend setzt sich Bernd Roeck mit den Entstehungsvoraussetzungen von Stadtbildern auseinander: Erst einige Entwicklungen in Kunst, Gesellschaft und Religion ermöglichten die Entstehung der oft sehr detaillierten frühneuzeitlichen Stadtdarstellungen (9-10). Die Aufsätze des ersten Abschnitts "Bild und Wirklichkeit der Stadt" widmen sich den Möglichkeiten einer realen Stadtdarstellung im Allgemeinen (Bernd Roeck) und am Beispiel Pforzheims im Besonderen (Stefan Pätzold). Abschnitt zwei befasst sich mit den Anfängen der Vedutistik: Als Ursprung der Vedute gelten die Landschaftsdarstellungen des spätmittelalterlichen Italien. In dieser Zeit entstanden aber auch bereits einige mit Veduten illustrierte Bilderchroniken (Regula Schmid), doch oft verfolgte man mit den Veduten bestimmte Ziele, wie Repräsentation von Herrschaft (Jutta Allekotte). Mit "Stadtdarstellung der Frühen Neuzeit" (Abschnitt III) assoziiert man meistens Flugblattdarstellungen, die im Rahmen der Reformation-Gegenreformation als Hintergrund für religiöse Propaganda dienten und im 30-jährigen Krieg Schlachtenflugblätter illustrierten. [1] Dass Stadtbilder dieser Zeit weit mehr zu bieten haben, zeigen unter anderem die ikonografischen Beispiele aus der Schweiz (Martina Stercken), Altbayern (Carl A. Hoffmann) und Bonn (Bernd Klesmann). Einen grundlegenden Wandel erfahren die Darstellungen dann mit der Erfindung der Fotografie (Abschnitt IV): Das neue Medium führte nicht nur zu realitätsnaheren Stadtbildern, es kam auch zu Veränderungen bei der Herstellung/Technik, dem Zugang für die breite Masse der Gesellschaft, den Auftraggebern und dem Zielpublikum.
Bernd Roeck macht auf die anfangs eingeschränkte Übereinstimmung von Bild und Stadt aufmerksam, denn Grafiker verwendeten oft ein Bild für mehrere Städte. Jedoch sind auch Bilder, die den Städten entsprechen, weit davon entfernt, wirklichkeitsgetreu zu sein: Roeck sieht in den Detailänderungen eine Strategie der Künstler: Sie "verbreitern [...] ungeniert die Strassen, verschlanken und verdicken Türme, heben bestimmte Bauwerke hervor und unterschlagen andere" (23). Roeck zufolge wollen die Grafiker mit diesen realistisch erscheinenden Stadtdarstellungen die Authentizität ihrer Abbildungen unterstreichen. Natürlich kann man sich bei der Beurteilung der Qualität auf derartige Details stützen, doch dann erwartet man unter "wirklichkeitsgetreuer Darstellung" eine Abbildung, die einer Fotografie gleichkommt - eine solche Darstellung lag aber außerhalb der damaligen Möglichkeiten. Zudem darf man bei aller "Wirklichkeitsdiskussion" die "Sprache" dieser Bilder nicht vergessen: Oft sind es die Details, die die eigentliche Aussage des Bildes transportieren. Gerade anhand von Details lassen sich Bilder in einen bestimmten Kontext einordnen: Um gezielte - auch symbolische - Aussagen über eine Stadt zu treffen, muss sie für den Betrachter zu identifizieren sein. Der genaue Grad einer Steigung, die exakte Breite einer Straße spielt in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle [2] - es sei denn, sie trägt zu der intendierten Aussage bei, dann werden diese Elemente entsprechend betont.
Stefan Pätzold stellt dagegen in seiner Untersuchung der Abbildungen Pforzheims sehr bald die Frage nach dem "Ziel" einer Stadtdarstellung und wertet die fehlende Übereinstimmung von Abbildung und Stadt erst nach einer detaillierten Analyse: Im Fall der "ältesten" Abbildung Pforzheims wird deutlich, dass diese nicht die Stadt zeigt. Auf eine kleine, skizzenhafte Darstellung der Stadt, die er als "vergleichsweise wirklichkeitsgetreu" bewertet, folgt eine Darstellung in Matthaeus Merians Topographia Sueviae von 1643. Dieser Stich erweist sich als typisch für seine Zeit: Panoramablick, die wichtigsten Gebäude sind mit einer Legende gekennzeichnet. Auch wenn der Stich selbstverständlich nicht an die Qualität einer Fotografie heranreicht, so ist er doch als Versuch einer recht wirklichkeitsgetreuen Stadtabbildung zu werten. Mit seinen Vorgängern und Nachfolgern hat der Merianstich gemein, dass alle Abbildungen die Veränderungen im Stadtbild nicht berücksichtigten. Nach dieser Übersicht über die Stadtdarstellungen Pforzheims befasst sich Pätzold detailliert mit den methodischen Ansprüchen und Schwierigkeiten, denen ein Historiker bei der Auswertung derartiger Quellen begegnet. Daher sind Entstehungsumstände, Genese, Authentizität, Intention sowie der Quellenwert von Abbildungen für eine historische Analyse und Interpretation unerlässlich, aber aufgrund der Quellenlage nicht immer in der notwendigen Intensität zu erarbeiten. In Bezug auf Rainer Wohlfeils sehr ausgefeilte Methode der historischen Bildkunde kommt Pätzold zu dem Schluss, dass dessen Überlegungen für den Historiker zwar sehr anregend sein können, diesen jedoch aufgrund der Ausführlichkeit der Methodik überfordern, wenn es um die Untersuchung einer ganzen Reihe von Bildern geht. [3]
Auch Regula Schmid geht davon aus, dass Intention und Abbildung voneinander abhängen und die Qualität von Stadtdarstellungen nicht an ihrer "Wirklichkeitstreue" festzumachen ist. Die von ihr besprochenen Schweizer Bilderchroniken des 16. Jahrhunderts orientieren sich an der mittelalterlichen Chroniktradition, die Städtebilder sind vor diesem Hintergrund zunächst als Zugabe zu betrachten: "An welcher Stelle die bekannten Wahrzeichen der Stadt erscheinen, ist dabei sekundär, und eher von den Anfordernissen der Bildgestaltung als von der Realität geprägt." (75); wichtig ist vor allem, dass die Stadt der Ereignisse zu identifizieren ist. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Jutta Allekotte, die nachweist, dass das Bildprogramm der Loggia Innozenz VIII. nur vor dem konkreten historischen Hintergrund richtig einzuordnen ist und sich die Realitätsnähe der Städtebilder der Identifikation der Stadt unterordnen muss.
Die Stadtdarstellungen der frühen Neuzeit waren mehr noch als ihre mittelalterlichen Vorgänger den Einflüssen des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Selbstverständnisses der Grafiker und/oder Auftraggeber einerseits sowie den historisch-zeitgeschichtlichen Ereignissen andererseits ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund ist die Methodik einer historischen Bildkunde - soweit noch nicht geschehen - zu entwickeln: Ausgangspunkt der Untersuchungen war die "Reflexion über Aspekte von Theorie und Methode" (14), unter Berücksichtigung von Kleinstädten und Metropolen, dabei sollten, soweit es die Quellen zulassen, auch Aussagen zu "Produktionsprozessen, Ökonomie und Funktionen der Veduten" (14) berücksichtigt werden. So engagiert das Projekt auch ist, hätte man sich stärker der Frage nach dem Zweck desselben widmen sollen, um sich darüber klar zu werden, ob man die Bilder zeitkontrastiv unter Berücksichtigung einiger bekannter Entstehungshintergründe untersucht, oder ob nicht die Untersuchung der Funktion der Bildquellen unter Berücksichtigung aller Entstehungsfaktoren der eigentliche Zweck einer historischen Ikonologie ist und die genannten Aspekte die Grundlage dafür bilden. So bleiben trotz intensiver Beschäftigung mit der Thematik viele Fragen offen, vor allem solche, die helfen, Bilder als historische Quellen zu erschließen: Die Ansätze Pätzolds, Schmids und Allekottes weisen hier den Weg. [4]
Anmerkungen:
[1] Ausführlich dazu Annette Hempel: Eigentlicher Bericht / So wol auch Abcontrafeytung. Eine Untersuchung der nicht-allegorischen Nachrichtenblätter zu den Schlachten und Belagerungen der schwedischen Armee unter Gustav II Adolf (1628/30-1632), Diss., Frankfurt / Main u.a. 2000.
[2] Zu diesem Punkt sei besonders auf den Beitrag von Regula Schmid verwiesen.
[3] Dazu auch Hempel (2000:18). Übereinstimmend auch Pätzold (hier: 60) "Für den vergleichsweise begrenzten Zweck der historischen Quellenkritik genügen durchaus zunächst die Ansätze der traditionellen Quellenkunde." und Hempel (2000: 20 ff.)
[4] Die Fotografie hat vor allem seit der Erfindung der Digitalkamera weitere rasante Entwicklungen vornehmlich in technischer Hinsicht durchlaufen, die Möglichkeiten der Bildmanipulation sind nahezu perfektioniert. Die Untersuchungen zeitgenössischer Stadtabbildungen müssen dies besonders berücksichtigen.
Annette Hempel