James E. Lindsay: Daily Life in the Medieval Islamic World, Westport, CT / London: Greenwood Press 2005, XXII + 299 S., ISBN 978-0-313-32270-9, USD 49,95
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Endlich ein Buch zur Alltagsgeschichte auch für das islamische 'Mittelalter'! Wer mit dieser Erwartung das Buch von James Lindsay über das Alltagsleben in der mittelalterlichen islamischen Welt zu lesen beginnt, wird enttäuscht. Das Konzept Alltagsgeschichte diskutiert der Autor überhaupt nicht. Sein Auftrag für die Reihe Daily Life Through History scheint ihm keine methodischen Probleme zu bereiten. Sein Buch sei schlicht "a general introduction to the Islamic world from the point of view of those who lived there" (xiii). Was Lindsay wirklich bietet, ist eine Einführung in die islamische Geschichte und Religion mit einem Schwerpunkt auf das Alltagsleben, der an wenigen Stellen überzeugt, an anderen jedoch deutliche Schwächen zeigt und manchmal sogar Fehler aufweist. Dies will ich im Folgenden exemplarisch belegen.
Zeitlich beschränkt sich der Autor auf die ersten sieben Jahrhunderte, da durch die mongolische Eroberung Bagdads (1258) und das Ende der Kreuzfahrerzeit die islamische Welt "a very different place" wurde (xiii). Diese Periodisierung entspricht der gängigen Präsentation der islamischen Geschichte. Ob aber das 13. Jahrhundert aus der Perspektive einer Geschichte des Alltags einen nennenswerten Bruch darstellt, ist noch nicht einmal im Ansatz innerhalb der Islamwissenschaft gefragt, geschweige denn beantwortet worden.
Das Buch ist in sechs Kapitel eingeteilt. Zuerst werden zentrale Themen der islamischen Geschichte ausgebreitet, die Quellenfrage insbesondere für die frühe islamische Geschichte diskutiert, das Leben Muhammads und die frühen Eroberungen geschildert. Dabei geht der Autor auch auf die ethnische Zusammensetzung, auf geographische Gegebenheiten und politische Theorien zur Legitimation des Herrschers ein. Die Fragmentierung des Kalifats wird geschildert und das islamische Recht und die Mystik kurz vorgestellt (1-31).
Im zweiten Kapitel (33-55) geht es um die arabische Halbinsel, der Ort, an dem die islamische Religion entstand. Zwar werden die literarischen Quellen (Gedichte) hervorgehoben, Literaturhinweise hierzu fehlen jedoch(34). Neben der Geographie wird die Bedeutung des Kamels erklärt. Zum Thema Behausung wird ein befestigter Stützpunkt entlang der Wüstenroute beschrieben, um dann noch kurz anhand der Beschreibung eines europäischen Reisenden aus dem 19. Jahrhundert die primitive Brotzubereitung zu erwähnen, die "presumably differs little from the Bedouin practices of the seventh century" (44). Besonders betont Lindsay die Rolle von Verwandtschaft, die er einerseits anhand von zwei vorislamischen Gedichten und andererseits anhand der Biographie Muhammads vorführt.
Kriegsführung und Kriegsideologie stehen im Zentrum des dritten Kapitels (57-85), sicher auch ein Aspekt des Alltagslebens, der durch ein eigenes Kapitel in diesem Buch jedoch stark hervorgehoben wird. Es geht um die Jihad-Ideologie, als ob alle kriegerischen Auseinandersetzungen religiös legitimiert worden seien (59); um Kampftechniken und Waffen sowohl in der frühen islamischen Geschichte, als auch zur Zeit der Kreuzfahrer. Darüber hinaus wird die Rolle von Frauen bei den Kämpfen der Frühzeit diskutiert, das System der Militärsklaven vorgestellt und weiter politische Geschichte bis zur Etablierung der Mamluken berichtet. Dabei wirkt die sicher spannende Geschichte der Shajar al-Durr, die in der Übergangszeit Sultanin wurde, hier wie künstlich angeklebt (81).
Das vierte Kapitel (87-137) handelt exemplarisch von drei wichtigen Städten: Damaskus, Bagdad und Kairo, deren Gründungslegenden, Hauptmoscheen und Wasserversorgung. Als Quellen nennt der Autor Reiseberichte, Geographien, Weltchroniken und lokale Geschichtswerke, die Auskünfte über das tägliche Leben, "at least public life", geben würden (88). Zwar verweist er auf die Bedeutung von Textilien, Papier und medizinischen Produkten, ohne jedoch ihre Rolle im Alltagsleben zu beschreiben (97, 102-103, 109). An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass eine völlig andere Struktur des Buches (die ein eigenes Kapitel über die alltägliche Funktion etwa von Textilien, der Buchproduktion und der Medizin zugelassen hätte), der Aufgabe einer Darstellung der Alltagsgeschichte wesentlich gerechter hätte werden können.
Es folgen zwei überzeugende Abschnitte über Reise und Transport sowie Geld und Märkte. Viel ausführlicher wird über den Status von Juden und Christen in der muslimischen Gesellschaft gesprochen. Die Auskunft über Wohnen bleibt sehr oberflächlich und wird mit Stichen aus dem Werk von Edward Lane illustriert, ohne diese Bilder zeitlich einzuordnen. [1] Der Abschnitt über Essen und Wasser informiert über Grundnahrungsmittel, Bewässerungstechniken und dann ausführlich über religiöse Essvorschriften.
Im fünften Kapitel (139-171) gibt Lindsay eine Einführung in die gottesdienstlichen Riten der islamischen Religion (Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Fasten, Pilgerfahrt nach Mekka). Er widmet sich auch den schiitischen Festen und der Verehrung von Gräbern.
Das letzte Kapitel (173-207) bietet "Curious and Entertaining Information", an dieser Stelle ein etwas befremdlicher Titel, da es hier um Lebenszyklus und Familienleben gehen soll, die ja doch zentrale Themen des Alltags sind! Nachdem das arabische Namensystem vorgestellt wurde, präsentiert der Autor die Stellung von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft ausschließlich anhand koranischer Aussagen, auch wenn ihm bewusst ist, dass dies nicht unbedingt der Realität täglichen Lebens entsprach (186). Zur Kindheit beschreibt er religiöse Riten bei der Geburt und Religionserziehung (ohne Fußnoten), besonderen Raum nimmt die Diskussion zu Kinderheiraten ein. Dabei liegt zu dem Thema Kindheit mittlerweile eine Vielzahl von Studien vor, von denen Avner Gil'adi immerhin unter der weiterführenden Literatur auftaucht (222). [2]
Beschneidung wird in ihrer religiösen Herkunft und Bedeutung erläutert. Ein Absatz berichtet über die Festlichkeiten zur Beschneidung (190, wieder ohne Fußnote!), dazu wieder eine Illustration aus dem schon erwähnten Werk von Lane (erneut ohne zeitliche Einordnung!). Liest man nun bei Lane nach (58-60), was dieser Mitte des 19. Jahrhunderts in Kairo deutlich mit orientalistischem Blick beobachtete, so erkannt man, dass Lindsay diese alltagsgeschichtlich relevanten Informationen aus Lane bezogen hat! Der Autor verstößt damit gegen zwei wissenschaftliche Grundsätze: Erstens verweist er nicht auf seine Quelle, und zweitens bietet er für seinen gewählten Zeitraum (7. bis 13. Jahrhundert) mit Informationen aus dem 19. Jahrhundert ein inhaltlich falsches Bild! Im Abschnitt über Kleidung wird der Leser nur über die religiösen Anstandsvorschriften für Frauen und das Tragen von Gesichtsschleiern informiert. Auch die Schilderung von Erziehung und Ausbildung konzentriert sich auf die religiösen Inhalte. Weil dies wohl selbst dem Autor zu einseitig erscheint, fügt er am Ende Kurzporträts zweier "Naturwissenschaftler" an. Die herausragende Bedeutung der arabischen Literatur bleibt jedoch ganz und gar unerwähnt.
Insgesamt bleibt ein schaler Eindruck übrig. Jedwede theoretische Auseinandersetzung mit der Alltagsgeschichte fehlt; die Darstellung ist sehr stark auf das Religiöse fixiert; und dann wird auch noch eine europäische Quelle aus dem 19. Jahrhundert ohne Beleg herangezogen, um den Alltag "from the point of view of those who lived there" zu beschreiben. Leider kann ich dieses Buch nicht empfehlen.
Anmerkungen:
[1] Edward Lane: The Manners and Customs of the Modern Egyptians, London 1860.
[2] Avner Gil'adi: Children of Islam. Concepts of Childhood in Medieval Muslim Society, London 1992.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
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