Andreas Hedwig (Hg.): "Weil das Holz eine köstliche Ware ...". Wald und Forst zwischen Mittelalter und Moderne (= Beiträge zur Geschichte Marburgs und Hessens; 2), Marburg: Verein für hessische Geschichts- und Landeskunde 2006, 209 S., ISBN 978-3-88964-193-9, EUR 15,00
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Heinrich Richard Schmidt: Worber Geschichte, Bern: Stämpfli 2005
Die Wald- und Forstgeschichte hat sich in den letzten Jahren vom kleinen Spezialgebiet innerhalb der Forstwissenschaften zum Teilbereich der Umweltgeschichte entwickelt: Sie versteht sich als interdisziplinäre Forschungsrichtung, die kultur-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche sowie naturwissenschaftliche Zugänge (Historische Ökologie, Landschaftsgeschichte, usw.) umfasst. Das Interesse an der Geschichte des Waldes nahm im deutschsprachigen Raum in den 1980er- und 1990er-Jahren, wohl nicht zuletzt aufgrund der intensiven Diskussionen zum Waldsterben, stark zu. Aus dieser Perspektive erstaunt auch nicht, dass in dieser Zeit viele Studien einen umwelthygienischen Ansatz wählten, gemäss dem der Mensch nicht als Teil, sondern in erster Linie als Störer oder als Zerstörer des Ökosystems wahrgenommen wurde. Einen andern Zugang wählten die Mediävisten in ihren Untersuchungen zur Waldnutzung. Sie verstanden Wald als Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche und somit als Teil des ländlichen Wirtschaftssystems. Schon früh sprachen sie von multifunktionalen Waldnutzungen. In der Frühneuzeitforschung und in jener des 19. Jahrhunderts standen Fragen um die Verfügbarkeit von Holz (bzw. Waldressourcen) im Vordergrund. Die Frage nach der Existenz einer Holznot in Europa dominierte die Studien und ließ einen erbitterten Konflikt zwischen Forstgeschichtlern aus den Forstwissenschaften und Historiker und Historikerinnen aus den Geschichtswissenschaften entstehen. [1]
Im vorliegenden Werk, das Texte aus beiden Forschungstraditionen, sowie verschiedenen Fachbereichen und Zeitepochen vereinigt, sind die beschriebenen Zugänge zur Wald- und Forstgeschichte in einem Band vereinigt. Die Publikation ging aus einer Ausstellung am Staatsarchiv Marburg unter dem gleichen Titel (11. Mai bis zum 9. September 2005) hervor und fokussiert demzufolge Wald- und Forstgeschichte, wie sie in Schriftquellen fassbar ist. Anlass zur intensivierten Beschäftigung mit Wald und dem Schriftgut gaben die umfassende Reform der hessischen Forstverwaltung und die Gründung des Landesbetriebs Hessen-Forst im Jahr 2001. Dabei ist eine thematisch breite Publikation entstanden, die Nutzung, Darstellung und Symbolik des hessischen Waldes seit dem Mittelalter umfasst.
Im ersten Teil des epochenübergreifenden Bandes werden drei Themenbereiche der Geschichte des Waldes diskutiert: "Forst und Wald im Mittelalter", "Der Wald in der bildlichen Darstellung und im Märchen" und "Forstnutzung und -nutzen von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart". Der zweite Teil des Bandes besteht aus dem Katalog zur Ausstellung im Staatsarchiv (139-209). Diese zeigte die Fülle von Quellenmaterial von Karten über Abbildungen und Gegenstände bis zu Urkunden und naturwissenschaftlichen Publikationen, die zur Untersuchung der Wald- und Forstgeschichte zur Verfügung stehen.
Im Abschnitt "Forst und Wald im Mittelalter" untersucht Matthias Hardt das Wechselverhältnis von Siedlung und Wald im frühen Mittelalter. In dieser Zeit wechselten sich in Hessen Rodungs- und Wüstungsbewegungen seit dem Untergang des römischen Reiches ständig ab: Hardt konstatiert eine Ausbreitung der Waldungen vom 5.-7. Jahrhundert und erneute Rodungsbemühungen seit dem 8. Jahrhundert. Diese seien vor allem auf die Gründung neuer monastischer Gemeinschaften zurückgegangen. Mit dem Wald Hessens im Spätmittelalter beschäftigt sich Otto Volk. In seinem Beitrag beurteilt er das Verhältnis Wald-Gesellschaft weitaus negativer als andere Autoren des Werkes, da er die vormoderne Waldnutzung als Störung im Ökosystem Wald versteht und untersucht. Er spricht nicht von Landesausbau oder Gewinnung zusätzlichen Kulturlandes im Spätmittelalter, sondern beschreibt, wie "überall in Deutschland große Waldflächen vernichtet oder zerstückelt" worden seien. (21) Mehr als die Hälfte der ursprünglichen Bewaldung sei bereits gerodet worden und dabei eine relative fixe Wald-Feld-Verteilung entstanden. Volk entwirft ein Bild Hessens, das weit von einer dynamischen Wald-Feld-Verteilung, wie wir sie im Spätmittelalter in andern agrarischen Regionen beobachten können, entfernt ist. [2] Durch die intensive Nutzung der meisten Waldungen sei "der Hochwald zum Mittelwald" (31) herabgesunken.
Die beiden Texte zur Frühen Neuzeit untersuchen Formen der Darstellung von Wald, nämlich die Kartographie und die literarische Darstellung in Märchen. Fritz Wolff erstellt eine Typologie der Forstkarten und ihrer Vorläufer, damit zeigt er Parallelen zur Entwicklung der allgemeinen Kartographie. Die von ihm beschriebenen Karten von Kartenmalern, um umstrittene Grenzen festzuhalten, wie beispielsweise die Karte des Gebietes Waldeck und Westfalen im Upland (um 1580) eine wäre, zeigt in ihrer Art grosse Ähnlichkeiten mit den städtischen Veduten der gleichen Zeit. Erste Vermessungen einzelner Waldstücke wurden in Hessen etwa zur gleichen Zeit durchgeführt. Ganz anders der kulturwissenschaftliche Zugang von Siegfried Becker. Anhand der Darstellung des Waldes in Märchen des 19. und 20. Jahrhunderts geht er auf die Symbolik von Wald ein. Hätte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Märchen schwärmerisches Verhältnis zum Wald vorgeherrscht, seien diese ab ca. 1850 zur "Kompensation der enttäuschten Hoffnungen" geworden. Im Kaiserreich entwickelte sich der Wald dann zum Sinnbild deutscher Kultur und Macht.
Die Artikel zur Neuzeit zeigen die grösste inhaltliche und methodische Vielfalt. Joachim Radkau leitet den Teil mit einem methodisch-theoretischen Beitrag ein, der eine Verbindung von mikro- und makrogeschichtlichem Blick auf die Wald- und Forstgeschichte anregt. Nur ein mikroskopischer Blick in die Quellen führe zu neuen Ergebnissen. Hingegen sei der Blick über die Region hinaus von zentraler Bedeutung um die Spezialitäten einer Region überhaupt zu erkennen. Radkau beschränkt sich nicht auf den Vergleich verschiedener mitteleuropäischer Regionen, sondern weitet den Blick auf Asien aus und stellt fest, dass der "markante Konnex zwischen Waldschutz und Herrschaftsinteresse", wie wir ihn in Europa feststellen, in den asiatischen Hochkulturen "nirgends in auch nur entfernt diesem Ausmaß zu finden" sei (97). Inhaltlich dreht sich seine Darstellung um Fragen des Waldzustandes und der "Holznot". Die drei folgenden Texte zur Neuzeit widmen sich traditionelleren forstgeschichtlichen Themen: der Frage nach Ausbildung und Rekrutierung von Forstbeamten (Karl Murk) und der Untersuchung von Biographien grosser Forstleute (Hans-Joachim Weimann) sowie Reformen im Forstwesen (Volker Grundmann).
Der spannend zu lesende Band zeigt die Vielfalt der Wald- und Forstgeschichte und das grosse Spektrum, in dem die Entwicklung und der Zustand des Waldes in der gleichen Region ja nach methodischem Zugang beurteilt werden kann. Es wäre wünschenswert, wenn die gelungene regionalgeschichtliche Publikation auch über die Region Hessen hinaus auf Resonanz stieße. Die Publikation gibt einen guten Einblick in die Geschichte des hessischen Waldes, selbst wenn sich die Rezensentin bei der Lektüre ab und zu eine kritischere Distanz zu forstlichen Klagen über den Waldzustand gewünscht hätte.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zu diesen Auseinandersetzungen Winfried Schenk: Holznöte im 18. Jahrhundert?. Ein Forschungsbericht zur "Holznotdebatte" der 1990er Jahre, in: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen (Band 157), 2006, 377-383.
[2] Otto Sigg: Agrargeografische und -soziale Beobachtungen des 15. und 17. Jahrhunderts am Beispiel von Kleinandelfingen, auch ein Beitrag zur Feld-Wald-Wechselwirtschaft, in: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen (Band 157), 2006, 403-407.
Katja Hürlimann