Johannes Willms: Napoleon III. Frankreichs letzter Kaiser, München: C.H.Beck 2008, 311 S., 12 Abb., ISBN 978-3-406-57151-0, EUR 24,90
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Johannes Willms, Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung, hat sein Talent, ansprechende Biographien zu schreiben, bereits unter Beweis gestellt. Seine Monographie über Napoleon I. ist für ihre Lesbarkeit und Klarheit gelobt worden. Dem neunhundertseitigen Werk über den Korsen, der das Schicksal vieler Franzosen in der Zeit bis zum Wiener Kongress bestimmte, folgt nun ein deutlich schmalerer Band über den Neffen, Louis-Napoleon, der als Napoleon III. in Frankreich herrschte, ab 1852 der zweiten Republik ein Ende setzte und seinen Kaiserthron in der Niederlage gegen Preußen/ Deutschland 1870/71 verlor.
Auf etwas mehr als 300 Seiten liefert Willms in zehn Kapiteln eine politische Biographie, wie er selbst im Vorwort schreibt, keine "petite histoire" (14), kein Klatsch über das Privatleben Napoleons III., keine Details zu den Amouren des Kaisers. Im Vorwort stellt Willms klar, dass seine Empathie für die Person Napoleons III. diese Arbeit über den zweiten Kaiser und das zweite Kaiserreich beeinflusst hat. Er schreibt: "Zuneigung ist eine zwar ganz und gar unwissenschaftliche, aber gleichwohl unverzichtbare Voraussetzung" für das Erstellen einer Biographie (14).
So ganz unwissenschaftlich geht Willms dann aber doch nicht vor. Anhand der einschlägigen Quellen und Literatur zeichnet er anschaulich das Gesellschaftsbild und Herrschaftsverständnis des zukünftigen Kaisers nach. In seiner Interpretation betont Willms das dynastische Denken Napoleons III., der aus der Familienzugehörigkeit zu den Bonapartes ein starkes Selbstbewusstsein zog, den politischen Instinkt des zukünftigen Kaisers, der allerdings vor allem in der Jugendzeit oft versagte und sein Verständnis der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Frankreich und Europa, das in seinen intellektuellen Ansprüchen zwar nicht originell war, aber in der späteren politischen Umsetzung beispielhaft und fortschrittlich wirkte.
Willms beschreibt Napoleon als einen Vordenker innerhalb der herrschenden Elite Europas: "Derart kühn und weit dachte und sah damals kein anderer Staatsmann." (137) Besonders geschickt nutzt Willms die Schriften des jungen Louis Napoleon, um Entscheidungsfindungen und Handlungsmotivationen zu erklären. Herrschte lange ein sehr kritisches Bild Napoleons III., vor allem in der deutschen Historiographie, so möchte Willms dem nun ein idealisiertes entgegensetzen, ohne dabei die Misserfolge und Fehler zu verschweigen.
Dieser methodische Zugang hat sowohl Stärken, als auch Schwächen. Die These von Napoleon III. als erstem modernen Herrscher, der eigentlich nur Gutes wollte, dient als Reibungsfläche für kritischere Interpretationen. Geschickt fügt Willms die Exilerfahrungen der frühen Jahre, die Entwicklungen innerhalb der politischen Krisen seit 1830 und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überlegungen zu einem Charakterbild zusammen, das sich gegen die Vorwürfe der Demagogie, der Inszenierung und Heuchelei stellt und durchaus überzeugt. Besonders anschaulich schildert der Autor die Aufstiegsgeschichte bis zum Putsch von 1851. Der Umgestaltung Paris unter Haussmann und der Modernisierung Frankreichs widmet er ein eigenes Kapitel, in dem er ebenso für die positive Bewertung der Ziele und Absichten, nicht immer aber der Umsetzung der Pläne Napoleons III. plädiert.
Die Schwäche des Zugriffes der Arbeit zeigt sich dort, wo Handlungsabläufe und Entscheidungen nicht aus dem Modernitätsdenken und popularen Herrschaftsverständnis Louis Napoleons/ bzw. Napoleons III. herleiten lassen. Durch das Statische der Erklärungsschablone gerät der Kaiser in der zweiten Hälfte des Bandes immer stärker in den Hintergrund. Dies wird besonders deutlich, als aus dem Idealisten der "Hasardeur" wird. Die außenpolitischen Entscheidungen erklären sich in der Interpretation Willms' stets aus kurzfristigen Zwangslagen oder aufgrund von Intrigen des Umfelds Napoleons III. Zwar ist es durchaus richtig, dass der zweite Kaiser der Franzosen am Ende seiner Regierungszeit durch gesundheitliche Schwierigkeiten kaum noch in der Lage war, den Aufgaben seiner Position gerecht zu werden. Dennoch schimmert bei Willms stets der jugendliche Louis-Napoleon durch, ohne dem Kaiser Napoleon III. in seinen verschiedenen Facetten ganz gerecht zu werden.
Trotz oder wegen dieses Vorbehaltes liefert der Band ein hervorragend geschriebenes Plädoyer zugunsten Napoleons III., das man mit Genuss und Gewinn lesen kann, auch wenn man nicht so offensichtlich mit dem zweiten Kaiserreich sympathisiert, wie dies Johannes Willms tut.
Torsten Riotte