Vincent Brown: The Reaper's Garden. Death and Power in the World of Atlantic Slavery, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2008, xviii + 340 S., ISBN 978-0-674-02422-9, GBP 22,95
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Als der englische Reisende Robert Renny um 1800 im Hafen Port Royal in Jamaika ankam, legte ein schmales Kanu mit vier schwarzen Frauen an ihrem Schiff an, die Früchte an die Passagiere verkauften. Nach dem sie abgelegt hatten, sangen sie ein Lied, das Renny wie folgt notierte: "New-come bukra, He get sick, He tak fever, He be die; He be die". Das Wort "bukra" stellte eine geläufige, zweischneidige Bezeichnung für Weiße auf Jamaika dar. Sie bedeutete zum einen "Herr", zum anderen aber auch "Teufel". Das Stück verdeutlichte dem Neuankömmling, dass Jamaika nicht nur tödliche Bedingungen für die zum Zuckeranbau herbeigeschafften Sklaven aus Afrika bereit hielt, sondern dass auch viele der Europäer kurz nach ihrer Ankunft starben. Die Sterblichkeitsrate der britischen Bevölkerung auf Jamaika lag Mitte des 18. Jahrhunderts jährlich bei etwa 10% und damit sogar knapp höher als die der schwarzen Bevölkerung. In dieser Hinsicht war der Akt des Todes vielleicht der große Gleichmacher, wie es ein anderes Lied behauptete, dass Renny schwarze Sklaven in den Straßen singen hörte: "One, two, tree, All de same; Black, white, brown, All de same; All de same." Vincent Brown zeigt jedoch vor allem, wie sich der Umgang mit den Toten und auch die Imaginierung des eigenen Todes je nach sozialer Zugehörigkeit unterschieden.
Der Ansatz der Studie ist ein kulturgeschichtlicher. Brown untersucht vor allem Praxen, sowie deren Wahrnehmung und Repräsentation. Politik und Sozialstruktur werden zwar auch behandelt, ihre Beschreibung und Analyse gerät jedoch mitunter zu kurz. So erfährt man beispielsweise erst im Epilog, dass die Frage der Wirtschaftsweise zentral für Fragen der Sterblichkeit im Sklavereisystem war und vor allem dort eine hohe Sterblichkeit herrschte, wo Sklaven in Minen oder auf Zucker-Plantagen eingesetzt waren. Dahingegen waren Tabak-, Kaffee- oder Baumwollanbau in der Regel mit niedrigeren Sterblichkeitsraten verbunden. Browns Untersuchungsort bildet die britische Kolonie Jamaika im 18. und 19. Jahrhundert. Vorherrschend war der Zuckerrohranbau, der auch auf Jamaika zu extrem hohen Todesraten führte.
Trotz der hohen Todesraten war Jamaika aber kein untergeordneter Bestandteil des britischen Empires im 18. Jahrhundert, sondern ganz im Gegenteil dessen profitables Herzstück. Vor Jamaika lag das kampfkräftigste Geschwader der britischen Flotte, wohlhabende und einflussreiche Briten hatten hier Plantagen und die Insel war das Drehkreuz des britischen Sklavenhandels. Die zentrale Produktionsausweitung des Zuckerrohranbaues fand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt. Der Exportwert aus Jamaika stieg von 650.000 Pfund im Jahr 1740 auf 2,4 Millionen Pfund im Jahr 1778. Der Anstieg der Verdienste kam jedoch fast ausschließlich der weißen Bevölkerung zu Gute. Da 1788 90% der Bevölkerung Sklaven und davon 93% afrikanischer Herkunft waren, bestand für die wenigen Weißen eine extrem gute Verdienstmöglichkeit. Während das Durchschnittseinkommen eines Mannes in Großbritannien bei 42 Pfund, eines Weißen im britischen Nordamerika bei 89 Pfund lag, betrug dieses in Jamaika laut Brown sagenhafte 1.042 Pfund. Aus diesem Grund machten sich auch zahlreiche Sprösslinge der britischen Oberschicht auf den Weg nach Jamaika. Sie hatten auch tatsächlich gute Chancen, zu großem Reichtum zu gelangen, wenn sie die ersten drei Jahre nach der Ankunft überlebten, doch dies war keineswegs die Regel.
Die Sterblichkeitsrate der Mehrheit der Bewohner Jamaikas, der Sklaven, lag zwar knapp unter jener der weißen Bevölkerung, aber im Gegensatz zu dieser, hatten die Sklaven trotz Überlebens keinen Reichtum zu erwarten. Ihr Leben war geprägt von schwerer Arbeit, ständiger Erniedrigung und brutaler Gewalt. Durch die hohe Sterblichkeit blieb Jamaika eine Insel der Neueinwanderer: Um 1800 waren 80% seiner weißen und 75% seiner schwarzen Bewohner nicht auf der Insel geboren worden. Die Bevölkerung der Insel war durch ständige Fluktuation und den Tod geprägt.
So deutlich wie sich die soziale Situation von Schwarzen und Weißen auf der Insel schied, so different war auch der Umgang mit dem Tod. Die Mehrzahl der weißen Jamaikaner war irreligiös und bemühte sich dem Tod mit Witz und Ironie zu begegnen, bzw. sich vom Leibe zu halten. Da sie gekommen waren, um reich zu werden, hatten sie sich freiwillig und auf eigenes Risiko dem Tode ausgeliefert und dies ließ sich am besten mit Humor aushalten. Sie waren Materialisten, denen es ums Geld und nicht um spirituelle Erlösung ging. Die Mehrzahl der weißen Sklavenhalter waren der Kirche gegenüber häufig skeptisch eingestellt, weil sie diese verdächtigten, durch die Bekehrung von Sklaven letztlich deren Emanzipation zu befördern, was auch durchaus zutreffend war.
Die Missionare auf Jamaika brachten den christianisierten Sklaven auf Jamaika die Botschaft, dass vor Gott alle Menschen gleich seien. Eine ähnlich große Gefahr für die Interessen der Plantagenbesitzer stellte die evangelikale Bewegung in Großbritannien dar, denn einige bekannte Evangelikale zählten zu den prominentesten Vertretern des Abolitionismus. Brown weist überzeugend nach, dass der Tod in den Überlegungen der evangelikalen Abolitionisten eine zentrale Rolle einnahm. In der Vorstellungswelt der Evangelikalen konnten ganze Nationen der Sünde anheim fallen und nach dem Tod in die Hölle kommen. In ihren Schriften waren gerade die Briten eine von dieser Strafe besonders bedrohte Nation, aufgrund von zunehmendem Materialismus bei gleichzeitiger Irreligiosität und wegen des Verbrechens der Sklaverei. Häufig wurden ermordete, christianisierte Sklaven in evangelikalen Schriften zu Märtyrern. Diese Schriften trugen erheblich dazu bei, dass die Sklaverei in Großbritannien zunehmend in die Kritik geriet.
Für die versklavten Afrikaner auf Jamaika hatte der Tod und Praktiken zu seiner kulturellen Bearbeitung eine größere Signifikanz. Der Tod war eingebunden in eine Vielzahl von Ritualen, die eine Verbindung zur fernen Heimat darstellten. Sie boten eine Möglichkeit, die Traumatisierung durch Verschleppung und Versklavung zu bearbeiten. Zentral waren auf Jamaika die religiösen Praktiken, die mit den Begriffen "Obeah" und "Myal" umschrieben wurden. Beide Traditionen sind west- und zentralafrikanischer Herkunft. In beiden Praktiken geht es zentral um die Schatten einer Person, welche die Verbindung zwischen den Toten und den Lebendigen darstellen. Zudem kennen beide Praktiken das Verfluchen von Personen. Die Plantagenbesitzer bekamen häufig mit, dass sie in nächtlichen Praktiken von ihren Sklaven verflucht wurden. Da sie selbst in der Regel nicht an diese Flüche glaubten, hatten sie wenig Auswirkungen. Allerdings zeigten die Praktiken deutlich, dass die Sklaven bereit waren, etwas gegen ihre Peiniger zu unternehmen. Zudem blieb es bald nicht mehr bei Flüchen, sondern eine Reihe von Sklavenaufständen, an deren Spitze oft religiöse Führer standen, erschütterte Jamaika. Nach der ersten dieser Revolten begannen die weißen Sklavenhalter, die Kulte aufs Schärfste zu bekämpfen. Viele Praktiker der Kulte wurden auf brutale Weise hingerichtet. Dabei wurde jedoch weniger die erhoffte Abschreckung erzielt, als Märtyrer geschaffen. Einige Sklavenhalter versuchten aus diesem Grund die Todeskulte für ihre Zwecke zu nutzen und begannen, Sklaven mit der "Verfolgung durch Schatten" zu bedrohen. Dies erwies sich jedoch auch nur bedingt als erfolgreich.
Zusammengefasst bietet Browns Buch eine kompakte und gut geschriebene Kulturgeschichte des Todes während der Zeit der Sklaverei auf Jamaika. Die Studie geht jedoch auch über diesen engen Bezugspunkt hinaus, insofern transnationale Verbindungen zwischen Jamaika, Afrika und Großbritannien konsequent mit in den Blick genommen und analysiert werden. An einigen Stellen hätte man sich eine stärker sozial- und politikgeschichtliche Erdung sowie eine größere Distanzierung des Autoren vom spirituellen Wortklang der Quellen gewünscht, doch dies bleiben letztlich kleine Einwände, denn an vielen Stellen gelingt es Brown durch die quellennahe Interpretation Zusammenhänge sichtbar zu machen, die viele Forscher vor ihm nicht berücksichtigt haben.
Marc Buggeln