Gregory Clark: A Farewell to Alms. A Brief Economic History of the World, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2007, xii + 420 S., ISBN 978-0-691-12135-2, GBP 17,95
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Gregory Clark, Professor an der University of California Davis, stellt sich mit dem vorliegenden Band selbst in eine Reihe mit Adam Smiths "Wohlstand der Nationen" und Karl Marx' "Kapital" oder neuerer Arbeiten wie Douglass Norths und Robert Paul Thomas' "Rise of the Western World" und Jared Diamonds "Arm und Reich". So wie diese will er die grundlegenden Fragen der Wirtschaftsgeschichte beantworten: Wie kamen wir dahin, wo wir heute stehen? Warum hat es so lange gedauert? Warum sind einige reich und andere arm? (IX) Um diesen Anspruch einzulösen, die Wirtschaftsgeschichte der Welt auf etwa 400 Seiten darzustellen, bedarf es eines sehr fokussierten Zugangs. Den hat Clark auch gewählt und, um es auf einen Nenner zu bringen, es ist ein neo-malthusianischer.
Der Band gliedert sich in drei Teile: Der erste widmet sich der Zeit der malthusianischen Falle bis 1800, der zweite geht auf die Industrielle Revolution ein und der dritte behandelt die nachfolgenden Epochen, von Clark in Anlehnung an Kenneth Pomeranz als die Great Divergences bezeichnet. Der Gang der Argumentation, wie er von Clark in einem ersten Kapitel kurz zusammengefasst wird, ist der folgende: Vor 1800 variiert das Einkommen pro Person zwar zwischen verschiedenen Gesellschaften und Zeiten, aber es gab im Prinzip keinen Aufwärtstrend. Das war dem Mechanismus der malthusianischen Falle geschuldet, der dafür sorgte, dass jeder Einkommensgewinn durch technische Verbesserungen zwangsläufig durch Bevölkerungswachstum wieder verloren ging. Deshalb ging es den Menschen durchschnittlich um 1800 nicht besser als 100.000 Jahre zuvor. Die Industrielle Revolution änderte vor zwei Jahrhunderten die materiellen Möglichkeiten: eine Gruppe von Ländern erlebte nun ein anhaltendes Wachstum der Pro-Kopf-Einkommen. Mehr noch relativ gesehen, gewannen in diesen Ländern vor allem die Armen und Unqualifizierten am meisten dazu. Jedoch profitierten davon nicht alle Länder, insbesondere in Afrika blieben die subsaharischen Länder in der malthusianischen Falle gefangen. Insofern hat die Industrielle Revolution zwar die Ungleichheit innerhalb der Länder verringert, aber zwischen den Ländern vergrößert. Aus diesem Rahmen leitet Clark seine Fragen ab.
Als entscheidend für den Ausweg aus der malthusianischen Falle sieht er an, dass auch nach der neolithischen Agrarevolution bis zur Industriellen Revolution der darwinsche Kampf ums Überleben die Menschen prägte. Er belegt das mit Daten, die für England zwischen 1250 und 1800 zeigen sollen, dass sich wirtschaftlicher Erfolg auch direkt in reproduktiven Erfolg niederschlug. Die reichsten Männer hatten die doppelte Zahl an überlebenden Kindern zum Zeitpunkt ihres Todes als die ärmsten. Damit würden die ärmsten Familien aussterben und die überzähligen Kinder der reicheren Familien müssten sich bei der gegebenen statischen malthusianischen Wirtschaft eine Arbeit suchen, die in der sozialen Hierarchie tiefer lag als die ihrer Eltern. Deshalb war das vorindustrielle England durch eine Abwärtsmobilität charakterisiert. Auf diese Weise wurden die später für die wirtschaftliche Dynamik entscheidenden Eigenschaften - Geduld, harte Arbeit, Erfindungsgabe, Innovationsbereitschaft und Bildung - biologisch in der Bevölkerung breit gestreut.
Der malthusianischen Falle entkam zuerst England durch die hier als Mythos stark hinterfragte Industrielle Revolution und die demographische Transition. Entgegen den meisten anderen Erklärungsansätzen für die Industrielle Revolution spielen bei Clark institutionelle Faktoren nur eine verschwindende Rolle, da diese alle schon um 1200 in England ausgeprägt gewesen seien. Vielmehr sieht Clark für die erstmalige Beschleunigung des technischen Fortschritts und des Wachstums mit der Industriellen Revolution als entscheidend an: die außergewöhnliche Stabilität Englands seit mindestens 1200, das langsame Bevölkerungswachstum zwischen 1300 und 1760 und die besondere Fruchtbarkeit der Reichen und wirtschaftlich Erfolgreichen. Wegen der damit verbundenen Verankerung der bürgerlichen Werte in der Kultur und eventuell auch in den Genen war England - im Unterschied zu China oder Japan - besonders fortgeschritten. Bei dieser Argumentation stellt sich natürlich eine Reihe von Fragen, auf die unten noch einzugehen ist.
Den bereits erwähnten Selektionsmechanismus führt er auch als eine Erklärung dafür an, dass sich die verschiedenen Länder weltweit nach der Industriellen Revolution so unterschiedlich entwickelten. Da wo dieser nicht zum Tragen kam, konnte sich auch die für die Anwendung der modernen Technologien erforderliche soziale Umgebung nicht herausbilden, die andere Verhaltensweisen erzeugte und damit die Produktivität verringerten.
Soweit vereinfacht die stark biologisch und sozialdarwinistisch geprägte Argumentation, die bereits vielfältige Kritik hervorgerufen hat. An dem Buch von Clark hat sich eine heftige Debatte entzündet, in der es unter anderem um die Annahme geht, dass das Niveau der Einkommen in der Welt zwischen dem Neolithikum und 1800 nicht gestiegen sei. Darüber hinaus werden auch die darwinistischen Ansätze in Clarks Darstellung diskutiert. [1] Auffällig ist auch, dass viele seiner Schlussfolgerungen auf statistischen Daten beruhen, die tatsächlich stärker zu hinterfragen wären. Ebenso irritiert (vom Autor so gewollt) die Vernachlässigung der institutionellen Faktoren, da deren Veränderung zwischen 1200 und 1760 selbst für England unterschätzt wird, trotzdem diese in anderen Ländern tatsächlich größer waren. Es kann auch danach gefragt werden, ob es bei der Annahme weitgehender institutioneller Stabilität über mehr als 500 Jahre ausreicht, die Tatsache, dass die Industrielle Revolution unter diesen Umständen nicht schon viel früher erfolgte, mit der graduellen Akkumulation von technischem Wissen zu erklären. Bei aller Kritik muss aber auch festgehalten werden, dass Clark einen informierten und gut lesbaren Überblick zu den großen Entwicklungslinien der wirtschaftlichen Entwicklung der Welt anbietet, wenngleich er diese stark zuspitzt. Es ist davon auszugehen, dass die Auseinandersetzungen um dieses provokative Buch weitergehen werden.
Anmerkung:
[1] Siehe u.a. die kritischen Beiträge von Deirdre McCloskey, Hans-Joachim Voth, George Grantham und Karl Gunnar Persson sowie die Antwort von Gregory Clark in: European Review of Economic History 2008, Heft 2.
André Steiner