Klaus-Jürgen Bremm: Propaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart: Theiss 2013, 188 S., 22 Abb., ISBN 978-3-8062-2754-3, EUR 24,95
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Die nicht aktenbasierte, sondern auf der Grundlage vorhandener wissenschaftlicher Darstellungen wie vereinzelt zeitgenössischer Publikationen - z.B. der Kriegserinnerungen von Erich von Ludendorff - stehende, mit 171 Textseiten recht knappe Studie des Militärhistorikers Klaus-Jürgen Bremm befasst sich erstmals vergleichend mit den propagandistischen Bemühungen der Hauptmächte des Ersten Weltkriegs, nämlich Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Während frühere Werke sich auf einen ausgewählten geographischen Raum [1] oder einen Teilbereich propagandistischer Tätigkeiten konzentrieren, [2] geht es Bremm um die Gesamteinschätzung der Propaganda und ihrer wichtigsten Träger in den untersuchten Staaten, besonders auch in den jeweiligen "Wechselbeziehungen" (11). [3]
Nach einem kurzen Überblick über Propaganda von der Antike bis zum 19. Jahrhundert (13-20) stellt Bremm im dritten Kapitel die Ausgangssituation zu Kriegsbeginn vor, indem er vornehmlich die Stimmung in Großbritannien und Deutschland skizziert und sich mit dem nahezu geschlossenen Einschwenken der geistigen Eliten beider Länder auf die offizielle Linie ihrer Regierungen befasst. Bremm schildert die Fronten der geistigen Kriegführung mit dem vermeintlichen deutschen Kampf gegen die "Ideen von 1789" (24) auf der einen, und mit dem britischen Anspruch, gegen 'preußischen Militarismus' das Banner von Recht und Freiheit hochzuhalten, auf der anderen Seite.
Im vierten Kapitel befasst Bremm sich mit der aus der deutschen Besetzung Belgiens und der gegen die belgische Bevölkerung ausgeübten Kriegsverbrechen resultierenden alliierten Gräuelpropaganda, die eine internationale Deutungshoheit erlangen konnte und gegen die sich eine versuchte deutsche Gegendarstellung nicht durchzusetzen vermochte.
Das fünfte Kapitel nimmt die Auslandspropaganda der beteiligten Mächte in den Blick. Dabei kommt Bremm zu dem Ergebnis, dass sich die britische Propaganda von der "moderaten Beeinflussung von maßgeblichen Meinungsbildnern im Ausland" (67) zur modernen Massenpropaganda entwickelt habe. Für die deutsche Seite zieht er das Fazit, dass die deutschen Bemühungen nicht so wirkungslos waren, wie es nationalistische Kreise nach dem Krieg häufig suggerieren wollten, indem sie die deutsche Niederlage mit der Überlegenheit einer "skrupellosen Feindpropaganda" (68) zu erklären suchten. Nach Bremm stieß die deutsche Auslandspropaganda aber weniger aufgrund organisatorischer oder finanzieller Mängel, sondern einer ideologischen Unterlegenheit an ihre Grenzen: Es sei dem Kaiserreich nicht gelungen, "den alliierten Versionen von einer besseren Welt mit einem verbürgten Selbstbestimmungsrecht wenigstens der europäischen Völker ein eigenes überzeugendes Ideal entgegenzusetzen." (78) Die französische Propaganda in den USA sieht er als wenig erfolgreich an, wie er überhaupt den amerikanischen Kriegseintritt nicht auf propagandistische Aktivitäten zurückführt.
Im sechsten Kapitel, das die deutsche und britische Propaganda in den USA vergleichend behandelt, konstatiert Bremm daher, dass das Eingreifen der Washingtoner Führung aufseiten der Entente durch militärische Entscheidungen wie den U-Boot-Krieg vom Kaiserreich leichtfertig provoziert wurde, aber außerdem durch die "weltanschaulichen Unterschiede beider Kulturen hinsichtlich der Prinzipien internationaler Politik" (107) geradezu unausweichlich gewesen sei - ungeachtet der propagandistischen Tätigkeiten beider Seiten.
Die amerikanische Propaganda ab 1917 zeichnet Bremm als großangelegtes patriotisches "Erziehungsprogramm" (111), das letztlich im Widerspruch zur Selbsteinschätzung als Hüterin der Demokratie gegen den Militarismus des Kaiserreichs Bürgerrechte massiv einschränkte und damit "eindrucksvoll" bewiesen habe, "dass eine kriegführende moderne Massendemokratie, anders als der biedere Wilhelminische Beamtenstaat, einen unvergleichlich höheren Druck bis hin zum Terror auf seine Bürger auszuüben vermochte [...]." (115)
Das Kapitel über die Aktivitäten der Kriegskorrespondenten zeigt, dass die staatlichen Zensurmaßnahmen von den Journalisten aller beteiligten Mächte überwiegend mit einer freiwilligen Selbstzensur beantwortet wurden. Die Korrespondenten entwickelten demnach das Selbstbild von "Kämpfer[n] mit der Feder" (131) und reihten sich als solche in die Kriegsführung ihrer Regierungen ein. Insofern konnte die Lüge zur "patriotische[n] Tugend" (135) geraten.
Im neunten Kapitel befasst Bremm sich mit den "Durchhaltegesellschaften" (137) in Deutschland und Frankreich, indem er den deutschen "Burgfrieden" mit dem französischen Pendant, der "union sacrée" vergleicht. Den Erfolg des französischen "Durchhaltens" (144) führt Bremm auf einen in der Republik ungleich stärkeren Konsens in Bezug auf die Kriegsziele zurück: Der Wunsch nach einem Rückgewinn von Elsass-Lothringen und die Vertreibung der deutschen Armeen aus Nordfrankreich habe zu einem von einer breiten Mehrheit getragenen unbedingten Siegeswillen geführt, wohingegen Bremm für Deutschland nur einen vermeintlichen "Burgfrieden" sieht, der bestehende soziale Differenzen nur notdürftig und kurzzeitig zu kaschieren imstande gewesen sei. Die vergleichende Betrachtung der jeweiligen Propagandabemühungen führt Bremm zu dem Ergebnis, dass die deutschen Kriegsgegner eine größere Durchschlagskraft entwickeln konnten, weil sie "bedeutend radikaler als der wilhelminische Obrigkeitsstaat" auf eine Aufstachelung "nationalen Hasses" der Massen abzielten (158).
Das vorletzte Kapitel beleuchtet die Perzeption des Krieges in Deutschland nach 1918 mit der Entstehung der "Dolchstoß-Legende" aus Nichtakzeptanz der Niederlage und zur Verschleierung des Versagens der militärischen Führung.
Bremms abschließendes Urteil über die Propaganda der untersuchten Mächte fasst diese nicht nur als staatliche Meinungslenkung auf, sondern postuliert ein freiwilliges Einschwenken der Kriegsgesellschaften auf den Kurs der "nationalen Selbstinszenierung" (165) und somit deren "Selbstmanipulation" (166) durch die "geliebte[n] Lügen" (171). Diese Formulierung erscheint in Anbetracht der Langlebigkeit von Versatzstücken der propagandistischen Eigenwahrnehmung aus Kriegszeiten weit nach 1918 in Deutschland plausibel. Bremm geht von einer plötzlichen Übersteigerung bereits vorhandener nationaler Denkmuster und Stereotype angesichts des Kriegsausbrauchs mit massiver Selbstauf- bei gleichzeitiger Abwertung des Gegners auf. Aufgrund moderner "Mittel und Methoden der Massenbeeinflussung" (166) sei es zu einer völligen propagandistischen Durchdringung der Gesellschaften gekommen, sodass in der Wahrnehmung nicht mehr Armeen, sondern Nationen sich bekriegten. Nach Bremm war dies ein Resultat der bei allen Beteiligten vorherrschenden "Homogenitäts- und Sicherheitsbedürfnisse[...]" (169f.) hinsichtlich einer im Umbruch befindlichen Welt. Die von ihm konstatierte gesellschaftliche Wirksamkeit der Propaganda sieht er aber ausdrücklich nicht als politisch entscheidenden Faktor im Krieg an. Das Agieren der kämpfenden wie neutralen Staaten habe vielmehr auf traditioneller Interessen- und Machtpolitik beruht.
Als störend bei der Lektüre der gut geschriebenen Studie erweist sich mangelnde Sorgfalt beim Lektorat und der formalen Gestaltung des Buchs. Zu kritisieren ist das limitierte Register, in das offensichtlich nicht alle im Text erwähnten, sondern nur eine bestimmte Auswahl von Personen aufgenommen wurden, neben vielen anderen fehlen darin z.B. die im Text erwähnten englischen Philosophen Ernest Baker und John Henry Muirhead (30) oder der Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff (31). Kleinere Flüchtigkeitsfehler sind in Bezug auf die Namensschreibung festzustellen wie die des ebenfalls im Register nicht auffindbaren Philosophen Bertrand Russell ("Bertrand Russel", 118) oder des irischen Kriegskorrespondenten William Howard Russell ("William Russel Howard", 121f.). Der Kriegskorrespondent der "Times", Arthur Moore, erscheint als "Moor" oder "Moore" (126-128), er ist auch nicht im Register erfasst. Die Bildunterschrift zum von Thomas Lawrence angefertigten Porträt von Clemens von Metternich erweckt den Eindruck, beim Porträtierten handele es sich um "Lawrence Metternich" (17). Der "Dolchstoß-Prozess" in München fand nicht 1915, sondern 1925 statt (163). Das Literaturverzeichnis umfasst nicht sämtliche in den Anmerkungen genannte Literatur, wie etwa die Erinnerungen von Stefan Zweig (173, Anm. 17).
Anmerkungen:
[1] So z.B. Jens Albes: Worte wie Waffen. Die deutsche Propaganda in Spanien während des Ersten Weltkrieges (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte / Neue Folge; 6), Essen 1996.
[2] So z.B. Peter Hoeres: Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2004.
[3] Vgl. einführend zu Weltkriegspropaganda auch: Michael Jeismann: Propaganda, in: Enzyklopädie des Ersten Weltkrieges, hgg. von Gerhard Hirschfeld / Gerd Krumeich u.a., Paderborn u.a. 2009, 198-209.
Nikola Becker