Anita Krätzner: Die Universitäten der DDR und der Mauerbau 1961, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2014, 307 S., ISBN 978-3-86583-808-7, EUR 44,00
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Die Forschungen zur Geschichte ostdeutscher Universitäten und Hochschulen nach 1945 haben in den letzten Jahren nicht zuletzt vor dem Hintergrund einiger Gründungsjubiläen bedeutend an Umfang und Tiefe gewonnen. Anita Krätzner hat sich die Universitäten bzw. Hochschulen in Berlin, Leipzig, Dresden, Rostock, Greifswald, Jena und Halle/Wittenberg ausgewählt, um zentrale Aspekte der politischen Disziplinierung von Wissenschaftlern, Studierenden sowie universitären Angestellten nach dem Mauerbau 1961 herauszuarbeiten. Da sie ihre Arbeit nicht als klassische Universitätsgeschichte mit ihren verschiedenen Fachbereichen, sondern als Untersuchungsfeld für damalige Handlungsspielräume konzipiert hat, gelingt es überzeugend, die Zäsur des Mauerbaus im Alltag der ostdeutschen Gesellschaft am Beispiel der Universitäten der DDR zu analysieren. Das Buch ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung ihrer 2012 von der Universität Rostock angenommenen Dissertation.
Krätzner hat einen sehr kurzen Untersuchungszeitraum gewählt, der sich vom Mauerbau am 13. August 1961 bis zur Einführung der Wehrpflicht in der DDR am 24. Januar 1962 erstreckt. Für diese Zeitspanne kann sie die politischen Lenkungsbemühungen staatlicher Behörden und ihre Wirkungen an den Universitäten anhand von Fallbeispielen aussagekräftig veranschaulichen. Als Kontroll- und Steuerungsinstrumente untersucht sie die Abteilung Wissenschaften des ZK der SED, das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen sowie den Zentralrat der FDJ. Deren Vorgaben verfolgten hauptsächlich das Ziel, die jeweiligen Leitungsgremien der Universitäten (Universitäts-, Fakultäts- und Institutsleitungen) dazu zu veranlassen, hart gegen kritische Haltungen von Hochschulangehörigen vorzugehen.
Da der Schwerpunkt des Buches auf der politischen Disziplinierung und Indoktrination der Studentenschaft liegt, bleiben systemkonformes politisches Engagement, loyale Konformität und Anpassung in der Darstellung weitgehend unterbelichtet bzw. unkommentiert. Krätzner beschreibt verschiedene Formen politischer Verweigerung bzw. Opposition und weltanschaulicher Distanz an Einzelbeispielen, die zugleich regionale Besonderheiten der Universitätsstandorte deutlich machen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Kampagne der FDJ unter männlichen Studenten, sich freiwillig zum Wehrdienst in der NVA bereit zu erklären, der sich nicht wenige verweigerten. Andere unterschrieben die Verpflichtungserklärung erst nach Androhung von Strafen bzw. Exmatrikulation. Nach Auswertung der Archivalien von SED, Regierung, Universitäten sowie MfS auf den verschiedenen Ebenen gelangt Krätzner zu dem Schluss, dass eine Mehrheit der Hochschulangehörigen den Mauerbau sowie die sich daran anschließenden politischen Kampagnen der SED zwar ablehnte, jedoch in der von Partei, Regierung und staatlicher Jugendorganisation bewusst inszenierten Atmosphäre der Angst schwieg oder resignierte. Eine Minderheit übte offenen Protest, was disziplinarisch geahndet wurde und bis zur Entlassung aus dem Hochschuldienst, Exmatrikulation oder gar Verhaftung führen konnte. Dabei bildete die Universität Leipzig einen Schwerpunkt. Dort reagierte sowohl die Universitäts- als auch die Universitätsparteileitung besonders rigide auf Verweigerung, nicht angepasstes Verhalten oder Protest von Hochschulangehörigen.
In ihrer Analyse der Situation von Wissenschaftlern und Studenten nach dem Mauerbau kann Krätzner nachweisen, dass der Prozess des Wandels von einer bürgerlichen Bildungselite zur "sozialistischen Intelligenz" zwar von Partei und Staat zielstrebig vorangetrieben wurde, aber langwieriger und widersprüchlicher war, als es das Bild eines rücksichtslosen "Sturms auf die Festung Wissenschaft" suggeriert. Ihre Befunde bestätigen somit Erkenntnisse, die schon früher über akademische Eliten an den ostdeutschen Hochschulen und Universitäten formuliert worden sind.
Krätzner konzentriert sich auf die Studentenschaft, die im Kontext der Heranbildung einer neuen akademischen Elite im Zentrum politischer Indoktrinationsbemühungen stand. Die von ihr eingesehenen Quellen ermöglichen zwar Einblicke in die Wirkungen politischer Repression, Überwachung und Steuerung, sie bieten aber kaum die Möglichkeit, die soziale Dimension der Transformation des Hochschullehrerberufs zu erfassen. Die Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft und des akademischen Lehrkörpers werden in die Analyse nicht mit einbezogen. Fraglich ist daher, ob die ausschließliche Fixierung auf abweichendes Verhalten tiefere Einblicke in die universitäre Lebenswelt ermöglicht, zumal Fragen nach der Wirkungsmacht karrierebestimmender Eigeninteressen unter diktatorischen oder totalitären Herrschaftsbedingungen nicht gestellt werden.
Mit den ausgewählten Fallbeispielen bietet dieses Buch ein differenziertes Bild des Verhaltens von ostdeutschen Hochschulangehörigen unmittelbar nach dem Mauerbau. Es bestätigt, was schon über andere Gesellschaftsbereiche bekannt war. Demnach war die Stimmung an den Universitäten vor dem Hintergrund von Drohungen der Universitätsparteileitungen sowie einem bewusst erzeugten Klima der Angst mehrheitlich von Resignation und Anpassung geprägt. Für die 1970er und 1980er Jahre wäre in weiterführenden Forschungen zu prüfen, ob sich systemrelevante Spannungsfelder unterhalb der Schwelle breiter Artikulation - wie die Reaktionen auf die nicht eingelösten materiellen Versprechungen der frühen Ära Honecker - auch an den Universitäten nachweisen lassen. Auf Basis des heutigen Wissens über die in den 1980er Jahren einsetzende Erosion der SED-Herrschaft ist die Analyse der Wertorientierungen von Universitätsangehörigen zumindest ebenso wichtig wie die selektive Untersuchung von Protestverhalten an den ostdeutschen Universitäten und Hochschulen.
Andreas Malycha