Alexander Reinfeldt: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Akteure und Strategien supranationaler Informationspolitik in der Gründungsphase der europäischen Integration, 1952-1972 (= Studien zur Geschichte der europäischen Integration (SGEI - SHEI - EHIE); Nr. 19), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 328 S., ISBN 978-3-515-10203-2, EUR 54,00
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In der Buchbesprechung eines Werkes zur Öffentlichkeit und europäischen Integration ist es nahezu unmöglich, das demokratische Defizit der Europäischen Union unerwähnt zu lassen. Für die Institutionen der EU war und ist es ein Problem, den Bürgern ihre Arbeit nahe zu bringen sowie ihre Aufgaben und Politiken gemeinverständlich zu erklären. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die europäische Integration von "Gründungsvätern" wie Jean Monnet als Elitenprozess konzipiert worden ist. Output-Legitimität wurde der Vorrang vor Input-Legitimität gegeben. Heutzutage stehen angesichts des vermehrten Euroskeptizismus die Information und sogar die Einbeziehung der Bürger der Mitgliedstaaten in den Politikprozess im Vordergrund, ja ist sogar eine Überlebensnotwendigkeit der EU geworden.
Historische Untersuchungen zur frühen europäischen Informationspolitik fehlten bislang weitgehend. Alexander Reinfeldts Studie, mit der er an der Universität Hamburg promoviert wurde, füllt also eine Lücke. Seine Untersuchung zeigt, dass das Feld Öffentlichkeit, Transparenz, Legitimität und europäische Integration von Anfang an ein konfliktreiches war. Informationspolitik bzw. die Information der Öffentlichkeit war nicht in den Gründungsverträgen vorgesehen. Die Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) entschied eigenmächtig, dass eine Informationspolitik notwendig sei, und schuf die Grundlage für eine europäische Informationspolitik, die sie gemeinsam mit den Kommissionen der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) weiterführte. Nicht zuletzt ist dies ein Indikator für die institutionelle Eigendynamik, die diese supranationalen Organisationen hatten. Reinfeldts erklärtes übergeordnetes Ziel ist es, zur Debatte um die Bedeutung supranationaler Akteure im europäischen Integrationsprozess beizutragen. Insofern reiht sich die Untersuchung in eine Vielzahl von jüngeren Studien ein, die den Aktionsradius und die Politiken der supranationalen europäischen Institutionen analysieren.
Reinfeldts Studie geht der Frage nach, warum supranationale Institutionen Informationspolitik betrieben und welche Adressaten und Inhalte diese Politik hatte. Dabei macht er deutlich, dass die europäische Integration auch im Bereich der Informationspolitik zunächst weitgehend ein Eliten- und Expertenprozess war, da sich die Informationspolitik vorrangig an Multiplikatoren und Meinungsführer richtete. Das Ziel der europäischen Informationspolitik war es jedenfalls weder, so Reinfeldt, eine europäische Identität in der Bevölkerung zu schaffen, noch die demokratische Legitimität der europäischen Verwaltungen zu fördern.
Das Buch ist in zwei Teile unterteilt. Teil eins widmet sich den Grundlagen, Institutionen sowie den Strategien der supranationalen Informationspolitik.
Die Kapitel dieses Teils sind nach Institutionen aufgeteilt und in sich chronologisch erzählt. Wie andere Autoren es bereits für andere Politikbereiche geleistet haben, so kann Reinfeldt auch am Beispiel der Informationspolitik administrative Schwierigkeiten, Ineffizienz und interinstitutionelle Rivalitäten aufdecken, die den Lesern das Funktionieren der europäischen Verwaltungen nahe bringt. Auch die Schwierigkeit, den Ministerrat zu Budgeterhöhungen zu bewegen, machte sich im Bereich der Informationspolitik bemerkbar, ein Problem, das die Entwicklung und Effizienz der europäischen Informationspolitik oftmals unterminierte. Dies war einigen der Mitgliedstaaten nicht unrecht; die unabhängige Informationspolitik der Kommission war beispielsweise besonders der französischen Regierung ein Dorn im Auge. Sie versuchte (vergeblich) die "Krise des Leeren Stuhls" zu nutzen, um die Informationspolitik der Kommission unter die Kontrolle des Rates zu bekommen.
Der zweite Teil des Bandes untersucht die Ausrichtung, Inhalte und Strategien supranationaler Informationspolitik. Die Exekutiven standen hier vor einem nicht unerheblichen Problem, das der EU noch heute zu schaffen macht: Viele Entscheidungen und Politiken, die in den europäischen Gremien erarbeitet wurden, waren sehr technisch und kaum geeignet, die breite Öffentlichkeit für die Arbeit der europäischen Exekutiven zu interessieren. "Den Gemeinschaftsorganen hafte das 'Odium der Technokratie' an" (194). Dieses Zitat aus einem Dokument der Generaldirektion Presse und Information der EG lässt vermuten, dass die Zurückhaltung der Exekutiven, die Informationspolitik auf die breite Öffentlichkeit auszurichten, vielleicht nicht nur in deren Elitenorientierung zu suchen ist, sondern auch zum Teil im mangelnden Interesse der Bevölkerung an den Feinheiten der europäischen Integration begründet liegt.
Obwohl Reinfeldt sich einen akteurszentrierten Ansatz auf die Fahnen schreibt, indem er die Exekutiven und insbesondere die mit Informationspolitik befassten Verwaltungseinheiten untersucht, fehlt ein wenig die persönliche Ebene derer, die sich der europäischen Informationspolitik widmeten. Hier wären kurze Charakterisierungen von leitenden Mitarbeitern im Bereich Information, wie Jean-Jacques Rabier oder eventuell sogar von Journalisten sicher anschaulich gewesen. Ein anderer Schwachpunkt ist der Schluss der Studie, in dem es Reinfeldt versäumt, in der Einleitung angerissene Themen wieder aufzugreifen, wie beispielsweise die Frage der Nutzbarmachung politikwissenschaftlicher Konzepte wie Paul Piersons Historischer Institutionalismus für geschichtswissenschaftliche Studien.
Wie erfolgreich letztlich die Informationspolitik der Exekutiven war, ist schwer zu messen. Laut Reinfeldt förderte die europäische Informationspolitik wohl mehr die transnationale Zusammenarbeit von nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten, von nicht-staatlichen Organisationen und Medien, als dass sie die öffentliche Meinung beeinflusste. Mehr systematische Erfolgskontrolle durch Meinungsumfragen gab es erst seit Mitte der 1960er-Jahre, die Anfang der 1970er-Jahre in die ersten Eurobarometer Umfragen mündete. In diesen Zeitraum fällt der Zerfall des "permissiven Konsensus" der Öffentlichkeit, und eine Neuausrichtung der Informationspolitik wird diskutiert, nicht zuletzt um die Wiederbelebung des europäischen Integrationsprozesses seit dem Haager Kongress 1969 zu begleiten.
Das vorliegende Buch ist eine solide gearbeitete Studie über die Grundlagen der europäischen Informationspolitik, in dem auch größere Zusammenhänge, Probleme und Eigenschaften des europäischen Integrationsprozesses thematisiert werden. Es ist daher sowohl für Kommunikationswissenschaftler als auch Historiker und Politikwissenschaftler des europäischen Integrationsprozesses zu empfehlen.
Katja Seidel