Sebastian Rick: Die Entwicklung der SED-Diktatur auf dem Lande. Die Landkreise Liebenwerda und Schweinitz in der Sowjetischen Besatzungszone 1945-1949 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 58), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 586 S., 14 Tbl., ISBN 978-3-525-36970-8, EUR 80,00
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Kaum ein Forschungsgegenstand hat in den letzten 25 Jahren so viel Aufmerksamkeit erfahren wie die Deutsche Demokratische Republik. Doch trotz der zahlreichen in diesem Zusammenhang behandelten Themen ist der ländliche Raum nur unzureichend erforscht. Bis heute gibt es keine befriedigende Gesamtdarstellung des dortigen Lebens in all seinen Facetten. Während Bücher über die Städte der DDR ganze Bibliotheken füllen, ist der Ertrag zu den ruralen Regionen äußerst bescheiden. Das ist fatal und führt immer wieder zu Fehlinterpretationen. Insofern ist es zu begrüßen, dass in jüngerer Zeit einige Regionalstudien erschienen sind, die Licht in das Dunkel bringen und aufzeigen, wie die ländliche DDR funktionierte, wie sie sich in über vierzig Jahren veränderte und warum sie 1989/90 ein so schnelles Ende fand. Damit wird ein wichtiger, unverzichtbarer Beitrag zur Erklärung des Gesamtsystems geleistet.
Vor diesem Hintergrund ist die voluminöse Dissertation von Sebastian Rick hoch willkommen, in der die Etablierung des SED-Regimes am Beispiel der Landkreise Liebenwerda und Schweinitz dargestellt wird. Ausgangspunkt dafür ist das Ende des Zweiten Weltkrieges, Endpunkt die Gründung der DDR im Jahr 1949. Damit widmet sich der Verfasser einem Zeitabschnitt, der selbst für den ländlichen Raum als relativ gut erforscht gilt. Dass der Leser dennoch mit zahlreichen neuen, zum Teil verblüffenden Befunden überrascht wird, liegt nicht zuletzt an der breiten Quellengrundlage. Neben Archivgut hat der Verfasser private Nachlässe ausgewertet, Tage- und Sterbebücher gesichtet, Heimatkalender und Verordnungsblätter berücksichtigt und mit Zeitzeugen gesprochen. Während im Literaturverzeichnis das Fehlen einiger Standardwerke auffällt, ist die Quellengrundlage schlicht beeindruckend. Dass Quellen aus zentralen Archiven gänzlich unberücksichtigt geblieben sind (was arbeitsökonomisch nachvollziehbar ist), schränkt zwar die Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der SBZ/DDR als Ganzes ein, schärft zugleich aber den Blick für das Regionale.
Die Kapitel behandeln in unterschiedlichem Umfang und differierender Durchdringungstiefe das Kriegsende, den Neuaufbau von Verwaltungen und Parteien, die Umgestaltung von Landwirtschaft und Industrie, die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste, die Wahlen des Jahres 1946 und die Entwicklung der SED hin zur Staatspartei.
Mit viel Verve vorgetragen, zeichnet Sebastian Rick ein plastisches Bild von den jeweiligen Entwicklungen im Untersuchungsgebiet. Dabei prüft er immer wieder die gegenwärtige Forschungslage und kommt zu bedenkenswerten Ergebnissen. So kann er beispielsweise nachweisen, dass die Verhaftungen durch sowjetische Stellen keineswegs so willkürlich erfolgten, wie das oftmals angenommen wird. Vielmehr dienten sie von Anbeginn der Durchsetzung eigener (Diktatur-)Vorstellungen und traten in zwei Wellen auf: Die erste zielte auf die Zerschlagung von NS-Strukturen ab, die zweite auf die Ausschaltung politischer Gegner. Auch die anderweitige Verfolgung "bürgerlicher" Verantwortungsträger stellt der Verfasser eindringlich dar. Er zeigt, dass die ergriffenen Maßnahmen in der Provinz viel härter und unmittelbarer ausfallen konnten als etwa auf zentraler Ebene. Wenig Neues bieten hingegen die Kapitel zu den ökonomischen Transformationsprozessen. Wiederum liegt die Stärke hier auf der Analyse der Entwicklungen vor Ort, die anschaulich und empirisch abgesichert erfolgt. Doch fallen Fehlstellen auf. Dass etwa das ländliche Genossenschaftswesen unberücksichtigt bleibt, verwundert. Gerade unter den Bedingungen der Nachkriegszeit kam ihm grundlegende Bedeutung zu; zudem führte die SED in den folgenden Jahren einen energischen Kampf gegen diese traditionelle Organisationsform.
Den Gesamteindruck vermögen derartige Fehlstellen aber kaum zu schmälern. Insgesamt hat Sebastian Rick eine gewichtige Regionalstudie vorgelegt. Sein Fazit ist eindeutig: "Der gesamte Prozess der Diktaturdurchsetzung wurde seit Beginn des Einmarsches der Roten Armee schrittweise von oben nach unten angeordnet." (557) Dieser eindeutige Befund kann nach der Lektüre des Buches für das Untersuchungsgebiet durchaus überzeugen. Inwiefern er für die DDR als Ganzes gelten darf, wird sich hingegen erst beantworten lassen, wenn ähnlich fundierte Studien für andere Regionen vorliegen.
Jens Schöne