Peter H. Wilson: Lützen (= Great Battles), Oxford: Oxford University Press 2018, XXI + 248 S., 6 Kt., 21 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-964254-0, GBP 18,99
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Die junge, von Hew Strachan seit 2015 herausgegebene Reihe "Great Battles" hat es sich zum Ziel gesetzt, aus den kriegerischen Auseinandersetzungen vergangener Jahrhunderte diejenigen Schlachten vorzustellen, die zentrale Wendepunkte in internationalen Konflikten darstellten oder bereits von den Historiografen früherer Jahrhunderte zumindest als solche propagiert und dadurch auch über Jahrhunderte als solche erinnert wurden. Im jüngsten Band der Reihe widmet sich der auf frühneuzeitliche europäische Kriegsgeschichte spezialisierte Oxforder Universitätsprofessor Peter H. Wilson mit Lützen einer der bekanntesten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges, die 1632 südwestlich von Leipzig zwischen den schwedischen und den kaiserlichen Truppen stattfand. Wilson zeigt nicht nur das historische Ereignis und seinen Ablauf im Detail auf, sondern kontextualisiert es und demonstriert, wie schon die Zeitgenossen verstanden, das Geschehene unmittelbar nach den Ereignissen im Sinne der eigenen Kriegspropaganda zu interpretieren, es entsprechend medial zu nutzen und zu instrumentalisieren.
Lützen stellt - im Gegensatz zu Breitenfeld 1631 - weder eine der größten noch eine der blutigsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges dar. Die etwa neunstündige Schlacht, bei der ein Viertel aller Beteiligten getötet oder schwer verletzt wurde (6000 Mann), entschied keinen Krieg, und sie stellte auch - anders als etwa die Schlacht am Weißen Berg 1620 - keinen signifikanten Wendepunkt des Dreißigjährigen Krieges dar, eine Vorstellung, die letztlich von Schillers literarischer Verarbeitung des Stoffes herrührt (145). Bisherige Interpretationen des Krieges und speziell der Schlacht bei Lützen als "the end of the age of principle and coherent strategy" brandmarkt Wilson als "falsch und irreführend" (6), wie er überhaupt mit zahlreichen historiografischen Unwahrheiten auf der Grundlage fehlinterpretierter bildlicher Idealdarstellungen aufräumt (50). Das Beispiel Lützen ist dafür fruchtbar, weil es so tief im Gedächtnis der Nachwelt verankert geblieben ist. Schließlich kam König Gustav II. Adolf bei diesem Ereignis ums Leben, was gerade die schwedischen Medien nicht davon abhielt, es als einen schwedisch-protestantischen Sieg zu vermarkten.
Wilson zeigt exemplarisch auf, "how such events are constantly rewritten as elements of propaganda, religious and national identity" (3). Zunächst hebt er dazu den Faktor Konfession hervor. Während die Betonung religiöser Absichten von der modernen Forschung inzwischen eher als Legitimationsversuch für diesen Vorstoß gewertet wird, spielte er nach Wilson aus schwedischer Perspektive durchaus eine Rolle. Vom Großteil der Bevölkerung des Reiches wurde der Eingriff in das Kriegsgeschehen aber bekanntlich vor allem als Invasion einer ausländischen Macht betrachtet. In diesem Sinne wurde auch der Schlachtentod Gustav Adolfs bei Lützen deklariert: "The king's death has remained largely in its early modern form as an individual sacrifice of a hero-king and Protestant martyr" (4).
Ausgangspunkt des Bandes ist der Ausbruch des Krieges im europäischen Kontext bis zur Ankunft der Schweden 1630. Im Anschluss daran entfaltet Wilson die Motive des schwedischen Königs für die Intervention, die nicht statisch waren, sondern sich im Laufe des Krieges veränderten. Schwedische Sicherheitsinteressen spielten dabei eine ebenso große Rolle wie die Anerkennung der jungen Dynastie innerhalb der europäischen Adelselite und konfessionelle Absichten. Kapitel 3 geht auf die Feldzüge der Jahre 1630 bis 1632 ein, während sich Kapitel 4 dem eigentlichen Kernthema des Buches, der Schlacht bei Lützen widmet (45-86). Wilson vollzieht darin anhand mehrerer Karten einzelne militärtaktische Züge detailliert nach, was, wie überhaupt der Fokus auf den Ablauf einer Schlacht, im Prinzip ein Signum der älteren Militärgeschichte darstellt, gleichzeitig aber den grundsätzlichen Maßgaben der Buchreihe entspricht. Die Untersuchung ist aber auch anschlussfähig an mikrogeschichtliche Fragestellungen sowie an die Neuere Militärgeschichte, indem eben nicht nur das Ereignis anhand seiner Protagonisten nachvollzogen wird. Auf der Grundlage zeitgenössischer Militärberichtserstattung u.a. dann doch klassisch militärhistorisch auch der Protagonisten (Wallenstein, Gustav Adolf, Colloredo, Pappenheim), die sich aber häufig widersprechen, bietet Wilson detaillierte, tages- und uhrzeitengenaue Aktionen wie Truppenbewegungen, -aufstellungen und Quartiernahme, Kampfformationen, Anzahl von Kämpfenden, Gefallenen und Gefangenen in den einzelnen militärischen Begegnungen bis hin zu prosopografischen Details unter Angabe der exakten topografischen und teilweise sogar meteorologischen Gegebenheiten und Marschrouten, wobei er auch aktuelle Ergebnisse verwandter Disziplinen wie der Archäologie einbezieht. Gleichzeitig weist er aber bereits eingangs darauf hin, dass jeglicher Versuch der Schlachtenrekonstruktion behindert wird von der "hagiography of Gustavus as military innovator and Protestant saviour, as well as by the simple fact that it was fought in fog as well as in gunsmoke" (5, auch 183). Auch Wilson legt einen besonderen Schwerpunkt auf den Schlachtentod des schwedischen Königs wie den von dessen Kontrahenten Gottfried Heinrich von Pappenheim (67-77), die von der Historiografie vergangener Jahrhunderte in ihren zahlreichen Versionen häufig miteinander in Beziehung gesetzt wurden.
Die eigentliche Stärke von Wilsons Studie liegt indes in der ausführlichen Betrachtung des Nachklangs, den Lützen in der Geschichte, einsetzend unmittelbar nach der Schlacht und bis in die Gegenwart fortdauernd, erfährt und der in Kapitel 5 ("Military Legacy") facettenreich dargestellt wird. Auch die Frage nach dem eigentlichen Sieger der Schlacht stellt und beantwortet Wilson neu. So bewertet er das Ergebnis in der Retrospektive nicht als schwedischen Sieg, sondern als "a marginal imperial tactical victory which could have been a significant strategic one had Wallenstein kept his nerve" (99). Er setzt sich ausführlich mit den Urteilen (über Gustav Adolf) von Militärhistorikern wie Hans Delbrück und Michael Roberts auseinander (108-114) wie auch mit der generellen Debatte um eine frühneuzeitliche "military revolution".
Die Erinnerungsbemühungen der auf Lützen folgenden Jahrhunderte waren naturgemäß stark protestantisch geprägt, aber auch wirtschaftliche Motive spielten eine Rolle (185). Die Studie identifiziert die maßgeblichen, v.a. deutschen und schwedischen Akteure und Institutionen, die sich in den jeweiligen Phasen um die Aufrechterhaltung des Gedenkens an Lützen und v.a. an Gustav Adolfs Tod bemühten, ihre Herkunft, Motive und Methoden. Dazu zählten die preußischen Könige als die neuen Kontrahenten habsburgischer Hegemonie, aber auch Gustav Adolfs Nachfolger auf dem schwedischen Thron. Gustav Adolf blieb für Jahrhunderte "the preferred symbol of the Swedish monarchy" - aber, wie auch Wilson weiß - "with little reference to Lützen beyond the site of the king's death" (136). Bis in die Zeit des Nationalsozialismus (173) und sogar in der DDR wurden Gustav Adolf und Lützen immer wieder herangezogen, erinnert, inszeniert und für aktuelle politische Zwecke instrumentalisiert. Intensiv beleuchtet der Band die Gedenkfeiern von 1732 und 1832 sowie das 1837 errichtete Monument.
Wilson hat die Ereignisse umfänglich kontextualisiert, auch wenn die Frage bleibt, wo Lützen endet, gar vom Kult um Gustav Adolf in den Schatten gestellt wird. Letztlich gehört beides untrennbar zusammen, was die ausführliche Darstellung des Nachlebens der Schlacht nicht nur rechtfertigt, sondern sogar erfordert. Die Besonderheit Lützens liegt jedenfalls in der häufigen und kontinuierlichen, aber auch vielfach verformten und an jeweils aktuelle Situationen angepassten Erinnerung und dadurch in der generellen Bedeutung dieser Schlacht für die europäische Erinnerungskultur. Eben darum gelingt es Wilson anhand dieses Beispiels zu zeigen, "how far a story can be made to serve different agendas over time" (182).
Andreas Flurschütz da Cruz