Annette Caroline Cremer / Martin Mulsow (Hgg.): Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung (= Ding, Materialität, Geschichte; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 352 S., 134 Abb., ISBN 978-3-412-50731-2, EUR 50,00
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Der Begriff Objekt kennt unterschiedliche Deutungen in den Wissenschaften. Im vorliegenden Buch wird er konkret im Kontext des Umgangs der historischen Kulturwissenschaften mit Gegenständen oder Dingen in einzelnen Fallstudien behandelt, die das Ergebnis zweier Tagungen (2013 und 2014) darstellen. Der Zeithorizont der Studien erstreckt sich vom 16. bis ins 18. Jahrhundert. Die materielle Kulturforschung generell und die Herangehensweise an dieses Thema innerhalb des Bandes im Speziellen ist interdisziplinär und erfreut sich in der angelsächsischen Welt seit längerer Zeit größerer Aufmerksamkeit als in der deutschsprachigen Wissenschaftswelt. Die Böhlau Reihe Ding, Materialität, Geschichte, deren zweite Publikation dieses Buch darstellt, hat daher zum Ziel, ein stärkeres Augenmerk auf die Objektforschung zu legen. Dies ist zweifellos ein wichtiges Anliegen.
Objekte bildeten einen wichtigen Ausgangspunkt der kunsthistorischen Forschungen im 19. Jahrhundert. Einer der Gründerväter des Fachs, Rudolf von Eitelberger, war zugleich Direktor des Museums für Kunst und Industrie und erster Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien. In der Folge gingen die Institutionen eigene Wege; bis heute ist eine Trennung zwischen musealer und universitärer Forschung bemerkbar. Objekte des Kunstgewerbes stehen im Studium der Kunstgeschichte noch immer im Schatten der bildenden Künste. Nicht zuletzt dank der intensivierten Aufmerksamkeit, die seit den 1990ern auf außereuropäische Kunst (speziell jene der islamischen Welt und Chinas, deren Marktwert stetig stieg) gelegt wird, lebt das Interesse an Objekten langsam wieder auf. Der Titel des Deutschen Kunsthistorikertags 2019 in Göttingen lautet erfreulicherweise Zu den Dingen! Lag die Aufmerksamkeit der Kunsthistoriker zu sehr auf den bildenden Künsten, so konzentrierte sich jene der Historiker, laut den Herausgebern des Buches, zu sehr auf die Textquellen. Ziel des Buches sei deshalb, einen breiten Blick auf Objekte zu werfen und den Wert derselben als Quelle der Kulturwissenschaften hervorzuheben.
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die jeweils unterschiedliche Annäherungen an das Objekt als Quelle der kulturwissenschaftlichen Forschung diskutieren. Objekte / Dinge / Gegenstände sind für sich aussagekräftige Dokumente ihrer Zeit, ergänzende Quellen, etwa schriftliche, fügen sie jedoch in ein kompletteres Bild ein. Der erste Teil mit Beiträgen von Kim Siebenhüner, Hans Peter Hahn und Annette C. Cremer, etabliert den status quo und widmet sich methodischen Überlegungen in Bezug auf die hohe Relevanz von Objekten als Trägern von Wissen in unterschiedlichen Formen und den damit einhergehenden Problemstellungen. Zudem wird die Relevanz der Rezeption, die Objekte im Laufe ihrer Existenz (Biografie, Itinerar) erfahren, erläutert, und es werden methodische Einteilungen vorgenommen, denen in der Folge die einzelnen Artikel zugeordnet sind. Ein Abschnitt etwa widmet sich der Herangehensweise Objekt-Bild-Text, die das Objekt im Dialog zwischen Text und Abbildung diskutiert, ein anderer erläutert Objekte als Erkenntnisanlass und Erkenntnismedium und geht auf die historische Rezeptionsgeschichte von Objekten ein, die oft mehr über die Geisteshaltung der Zeit, in der das Objekt untersucht und evaluiert wird, aussagt als über das Objekt selbst. Wertvolle Literaturverweise unterfüttern diese Betrachtungen.
Die vielfältige Herangehensweise an Objekte im weitesten Sinn und deren Strahlkraft beeindruckt, etwa die physische Stellvertreterrolle, die eine Rüstung Kaiser Karls V. über Jahrhunderte behält (Ariane Keller und Anna Pawlak). Ein wichtiges Thema, das hier thematisiert wird und sich über weitere Beiträge zieht, ist die Geschichte fürstlichen und bürgerlichen Sammelns während der frühen Neuzeit (etwa Stefan Laube oder Paola von Wyss-Giacosa). Diese Sammlungen waren Nuklei der Entwicklung der frühen Geistes- und Naturwissenschaften. Es faszinieren daher die Artikel, die den Übergang von Lebewesen zu Objekt in der aufklärerischen naturwissenschaftlichen Forschung thematisieren (Anne Mariss, Silke Förschler). Um Tiere, aber auch Pflanzen, untersuchen zu können musste man sie haltbar machen, das heißt trocknen oder ausstopfen - sie wurden somit zu unbelebten Dinge, Objekten der Forschung und symptomatisch für ihre Zeit. Vier weitere Beiträge widmen sich der Rolle von Objekten als Erkenntnisträgern in der Wissenschaftsgeschichte (Paola von Wyss-Giacosa, Lisa Regazzoni, Britta Rabe und Martin Muslow). Innerhalb dieser großen Gruppe stößt der Begriff Objekt im Verständnis von transportablem Gut an seine Grenzen: sind massive prähistorische Menhire als Objekte zu bezeichnen? Die Bücher, in denen sie publiziert wurden, sind es auf jeden Fall. Eine ähnliche Frage stellt sich bei der Studie zur Materialität der Märkte (Christof Jeggle), die im Untertitel der im Grunde interessanten Studie explizit darauf hinweist, lediglich Spuren von Objekten auf Stadtdarstellungen zu untersuchen. Es werden zwar Bildobjekte mit Marktdarstellungen studiert, jedoch ist die Objekthaftigkeit der abgebildeten Märkte etwas schwierig zu erschließen. Die Frage, ob es sich hierbei um Objekte im weiteren Sinn handelt, kann nicht eindeutig bejaht oder verneint werden, es kommt ganz auf die Definition des Begriffs an. Auf keinen Fall handelt es sich hierbei um konkrete transportable Objekte, wie sie von Kim Siebenhüner einleitend erläutert werden. Die Offenheit des Begriffs Objekt, mit der der Band arbeitet, erlaubt eine große thematische Breite, ist wahrscheinlich aber auch seine größte Schwäche. Die Einteilung der Artikel nach Methodik der Herangehensweise an die unterschiedlichen Objekte spiegelt die weit gefasste Begrifflichkeit, stellt aber im Grunde den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, um die so unterschiedlichen Studien in einem Band zu vereinen. Möglicherweise hätte man andenken können, die eine oder andere Studie einem anderen Band zuzuordnen und von einer klareren Definition des Objekts auszugehen. Damit wäre die Publikation dieser erlesenen Sammlung von Beiträgen konziser geworden.
Barbara Karl