Claudius Stein: Die Kunstkammern der Universität Ingolstadt. Schenkungen des Domherrn Johann Egolph von Knöringen und des Jesuiten Ferdinand Orban (= Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München; Bd. 9), München: Utz Verlag 2018, 260 S., 34 Abb., ISBN 978-3-8316-4746-0, EUR 69,00
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Gegenstand der Publikation von Claudius Stein sind zwei Sammlungen, die heute den Grundstock der Sammlungen der Ludwig-Maximilians-Universität München bilden: Das "Antiquarium" des Augsburger Domherrn und Würzburger Fürstbischofs Johann Egolph von Knöringen (1537-1575) und die Kunstkammer des Jesuitenpaters Ferdinand Orban (1655-1732) kamen 1573 und 1722 im Rahmen eines Stiftungswerkes nach Ingolstadt, fielen um 1774 der Universität Ingolstadt zu und zogen mit der Universität 1800 nach Landshut und 1829 nach München. 1881 schieden die Sammlungen aus dem Universitätsgebäude an der Münchener Ludwigstraße aus und wurden verschiedenen Institutionen als Leihgaben zur Verfügung gestellt. So lassen sich heute noch einzelne Exponate aus dem Knöringen-Antiquarium und aus der Orban-Kunstkammer in den Beständen des Bayerischen Nationalmuseums, des Museums Fünf Kontinente und der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nachweisen.
Das Knöringen-Antiquarium und die Orban-Kunstkammer haben gemeinsam, dass es sich ursprünglich um Privatsammlungen handelt, die von zwei einflussreichen, geistlichen Persönlichkeiten aufgebaut und an eine pädagogische Einrichtung, in diesem Fall ein Priesterseminar, gestiftet wurden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sowohl Knöringen als auch Orban in Zusammenhang mit ihrer Stiftung den Bau eines eigenständigen Ausstellungsgebäudes zur Präsentation ihrer Sammlungen veranlassten. Die Kunstkammer Orban, für die 1725 ein eigenständiger Trakt, der sogenannte Orban-Saal, in Erweiterung des Jesuitenkollegs errichtet worden war, ist heute am bekanntesten - vielleicht deswegen, weil der Orban-Saal heute noch existiert. Die Zusammensetzung und das Schicksal der Sammlung Orban ist bereits Gegenstand mehrerer Publikationen gewesen. [1] Hingegen stellte die Kunstkammer von Johann Egolph von Knöringen bislang eine Forschungslücke dar, die Stein nun mit seiner Publikation schließt.
Durch seine Kenntnis antiker Sprachen und Literatur, seine ausgedehnten Reisen, seine Vernetzung mit Gelehrten, seine Sammeltätigkeit und sein Mäzenatentum zeichnete sich Johann Egolph von Knöringen als "Humanistenbischof" (11) aus. Seinen Hauptwohnsitz, die Augsburger Domkustodie, baute er zu einem Musensitz mit italienisch anmutendem Arkadenhof aus. Hier war sein "Antiquarium" zu Hause, das der Humanist Laurentius Albertus, der Autor der ersten deutschen Grammatik, als Kustos betreute: Illuminierte Handschriften, antike Münzen und Gemmen sowie griechische und römische Objekte waren neben Naturalien, ethnografischen Exponaten und verschiedenen Kunstwerken ausgestellt, während wertvolle liturgische Geräte in der Hauskapelle präsentiert wurden. Stein betont, das Knöringen-Antiquarium sei im Kontext der Gegenreformation allgemein als Mittel zur "Rückgewinnung vom rechten Glauben abgefallener Seelen und Territorien" (11) zu bewerten. Dies stimmt insofern, als Knöringen seine Bibliothek und Kunstkammer nach Ingolstadt stiftete, der damaligen Hochburg gegenreformatorischer Theologen. Allerdings schlägt sich dies, soweit man es überhaupt nachvollziehen kann, nicht auf die Zusammensetzung der Bestände nieder, die sich mit den Sammlungen Augsburger Patrizier und Humanisten zu decken scheinen. Überhaupt geht die Initiative zur Stiftung des Knöringen-Antiquariums nach Ingolstadt weniger auf den Kirchenfürst selbst als auf dessen Freund Martin Eisengrein zurück. Als Theologieprofessor in Ingolstadt bemühte sich Eisengrein um die Errichtung eines Priesterseminars an der Universität Ingolstadt, des sogenannten "Collegium Albertinum", für welches Albrecht V. das nötige Geld zum Bau eines Kolleggebäudes und zur Ausstattung mit Lehrmitteln stiftete. Als die Mittel zu Ende gingen, begab sich Eisengrein auf die Suche nach weiteren Stiftern. Es gelang ihm, die Kunstkammer und die Bibliothek Knöringens für das Collegium Albertinum zu gewinnen. Damit war die Grundlage für das theologische Ausbildungs- und Forschungsinstitut gelegt, das Eisengrein vorschwebte und das Knöringens Ruhm als gelehrter Kirchenfürst für die Nachwelt erhalten sollte.
Zusätzlich zur Stiftung seiner Sammlungen und Bibliothek finanzierte Knöringen die Errichtung eines zweistöckigen Sammlungsgebäudes, das 1570-1571 im Anschluß an die Bauten des Collegium Albertinum gebaut wurde. Mit einer Ausstellungsfläche von 1188 m2 war dieses Gebäude etwa so groß wie das zeitgleich errichtete Kunstkammergebäude des bayerischen Herzogs in München. Stein betont, dass es sich bei der Stiftung der Knöringen-Sammlungen am Collegium Albertinum um einen einzigartigen Fall im 16. Jahrhundert handelt. Vergleichbare Forschungs- und Lehreinrichtungen mit angeschlossener Kunstkammer weist der Autor erst im 17. und 18. Jahrhundert mit den Sammlungen der Universität von Pisa (um 1640), mit dem Museum Kircherianum am römischen Jesuitenkolleg (1651), mit der Stiftung von Luigi Ferdinando Conte de Marsigli an die Universität von Bologna (1650) und nicht zuletzt mit der Stiftung der Orbanschen Sammlungen an das Ingolstädter Jesuitenkolleg (1722) nach. Im Gegensatz zu Athanasius Kircher oder Ferdinand Orban war jedoch Knöringen nicht nur ein Geistlicher bzw. Ordensangehöriger, sondern ein Kirchenfürst. Dementsprechend liegen die Vorbilder für die Einrichtung des Knöringen-Antiquariums in der höfischen Gesellschaft. Es ist kein Zufall, wenn das Ingolstädter Sammlungsgebäude zeitgleich mit der Errichtung des Kunstkammergebäudes Albrechts V. in München entsteht: Johann Egolph von Knöringen, der übrigens mit Albrecht V. verkehrte, reihte sich mit seiner Stiftung unter jene Fürsten ein, die ihre Sammlungen im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts verstärkt in eigens hierfür konzipierten Räumen präsentierten, um sie gezielt als Mittel fürstlicher Repräsentation einzusetzen. Vielleicht deswegen erfuhr das Sammlungsgebäude im Collegium Albertinum eine Abwertung mit der Rückkehr der Jesuiten nach Ingolstadt im Jahre 1576. Das Gebäude wurde 1589 abgerissen, um an seiner Stelle eine neue Jesuitenkirche zu errichten. Die Sammlungen selbst verfielen in ein Schattendasein, bis sie im 18. Jahrhundert in die Bestände der gestifteten Kunstkammer des Jesuitenpater Orbans eingingen.
Der Verdienst von Claudius Stein liegt darin, nicht nur erste Ansätze zur Rekonstruktion der Sammlungen Knöringen zu liefern, sondern auch ihre Entstehung, Stiftung und ihr Schicksal nach dem Tod des Fürstbischofes zu untersuchen und zu kontextualisieren. Dabei stützt sich der Autor auf eine breite, zum Teil neu erschlossene Quellenbasis, die er in seinem umfangreichen Editionsteil präsentiert. Wer sich mit dem Sammlungswesen der Frühen Neuzeit auseinandersetzt, wird in Steins Studie eine lohnende Lektüre vorfinden, die nicht nur neues Quellenmaterial darbietet, sondern auch neue Einblicke in die frühneuzeitliche Sammelkultur an der Schnittstelle höfischer und geistlicher Sphären gewährt.
Anmerkung:
[1] Stephanie Gilles: Pater Ferdinand Orban (1655-1732). Gelehrter - Sammler - Jesuit. Eine Bestandsaufnahme, in: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 118 (2009), 289-304; Siegfried Hofmann: Das Orban'sche Museum in Ingolstadt, in: Makrokosmos in Microcosmos. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, hg. von Andres Grote, Opladen 1994, 661-677; Ders.: Das Orban-Museum, in: Jesuiten in Ingolstadt 1549-1773, Ausstellung des Stadtarchivs, der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek und des Stadtmuseums Ingolstadt, Ingolstadt 1991, 300-305; Ulla Krempel: Die Orbansche Sammlung, eine Raritätenkammer des 18. Jahrhunderts, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 19 (1968), 169-184.
Virginie Spenlé