Andrew J. Newman (ed.): Society and Culture in the Early Modern Middle East (= Islamic History and Civilization. Studies and Texts; Vol. 46), Leiden / Boston: Brill 2003, xxi + 419 S., ISBN 978-90-04-12774-6, EUR 153,00
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Innerhalb der Islamwissenschaft ist es natürlich sehr beliebt, sich auf die Erforschung der Geschichte einer Dynastie zu konzentrieren. So gibt es neben Abbasidenspezialisten, Mamlukologen oder Osmanisten eben auch eine Reihe Forscher, die sich in erster Linie mit der Gesellschaft während der Herrschaft der Safaviden (1501-1722) beschäftigen. Der Forschungsgegenstand ist sehr ergiebig, denn die Quellenlage kann als sehr gut bezeichnet werden. Zudem hat man in Fachkreisen ein großes Interesse an diesem wichtigen Herrschaftsverbund, der in der Frühen Neuzeit neben dem Mogulreich und dem Osmanischen Reich das dritte große staatsähnlich organisierte Territorium darstellt. Um zu einer besseren Kommunikation untereinander zu gelangen, haben die insgesamt doch sehr zerstreuten Safavidenforscher seit geraumer Zeit begonnen, sich zu organisieren und in regelmäßigen Treffen die Ergebnisse ihrer Arbeit auszutauschen.
Eine feste Institution sind die internationalen Rundgespräche geworden, die einer der arrivierten Professoren auf dem Gebiet der Safavidenforschung in regelmäßigem Abstand ausrichtet. 1989 war es an Jean Calmard, den First International Round Table on Safavid Persia in Paris zu veranstalten (Ergebnis: Etudes Safavides. Paris/Teheran 1993), bevor 1993 Charles Melville zum Second International Round Table nach Cambridge einlud (Ergebnis: Safavid Persia. The History and Politics of an Islamic Society. London 1996). Vor uns liegt nun die Publikation des 1998 in Edinburgh von Andrew J. Newman durchgeführten Third Round Table. Zu dem Fourth Round Table, der unter Führung von Bert Fragner 2003 in Bamberg stattfand, gibt es noch keine Veröffentlichung.
Nicht alle Tagungsbeiträge haben Eingang in den Sammelband gefunden. Schließlich blieben immerhin 20 Artikel von Wissenschaftlern aus Iran, Russland, Großbritannien, USA, Italien, Frankreich, Deutschland und Kanada. Natürlich hat jeder Herausgeber solcher Tagungsbände mit der großen Heterogenität der Kontributionen zu kämpfen. Auch Andrew J. Newman ist sich dessen bewusst und nimmt daher auch nur eine ganz grobe Aufteilung der Texte vor. Er gruppiert sein Material in sechs Sektionen, wobei jede Sektion sehr allgemein gefasst ist. Zu allen Beiträgen nun ein paar Worte:
1. Geschichte und Geschichtsschreibung (drei Beiträge). (1) Michele Bernardini untersucht zwei Epen aus der Feder der schiitischen Dichter Hātifī (gestorben 1522) bzw. Qāsimī Gunābādī (gestorben 1574). Obgleich es viele Texte gibt, ist das historiographische Genre der epischen Geschichtsdarstellung bisher kaum untersucht. Bernardini führt am Beispiel des "Tīmūrnāma" (verfasst zwischen 1492 und 1498) und des "Šāhnāma-yi Ismā'īl" (1533) in die Problematiken dieses Materials ein. (2) Nachdem Sholeh A. Quinn überzeugend präsentiert hat, wie in der Safavidenzeit timuridische historiographische Modelle fortgesetzt wurden, vergleicht Karin Rührdanz (3) verschiedene illustrierte Kopien von al-Qazvīnīs (gestorben 1283) berühmten "'Aǧā'ib al-maḫlūqāt" miteinander. Es handelt sich neben Abschriften des arabischen Textes um Übersetzungen ins Persische und Osmanische. Karin Rührdanz gelingt es sehr schön, die unterschiedlichen politisch-religiösen Interessen der Kopisten, Illustratoren und Übersetzer herauszuarbeiten.
2. Quellen zur Erforschung der safavidischen Kultur und Gesellschaft (drei Beiträge). Iraj Afshar (4) fordert dazu auf, sich intensiver um das Alltagsleben zu kümmern. Immerhin gebe es zahlreiche Quellen zu dieser Thematik: Firmane, Gerichtsurkunden, Petitionen, Dokumente über Landzuweisungen, Testamente, Stiftungsurkunden etc. Insgesamt handelt es sich vor allem um Bestände aus der Zentralbibliothek der Teheraner Universität, der Malik-Nationalbibliothek und der Maǧlis-Bibliothek (ebenfalls in Teheran) sowie der Mar'ašī-Bibliothek (in Qom). Charles Melville (5) unterstreicht die Bedeutung des dritten Bandes von Fażlī Ḫūzānīs Hofchronik "Afżal at-tavārīḫ" aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die er in Cambridge zufällig entdeckt hat. Das Geschichtswerk enthält viele wertvolle Informationen zur politischen Geschichte, den Verwaltungsstrukturen und den Patronagenetzwerken aus der Zeit von 'Abbās I. (reg. 1588-1629). Eine ganz andere Quellengattung ist der Gegenstand von Anthony Welchs Artikel (6). Er widmet sich dem Journal, das der Venezianische Edelmann Ambrosio Bembo, der 1674 unter anderem Schiraz und Isfahan besuchte, verfasst hat. Der Historiker erhält faszinierende Einblicke in die zeitgenössische safavidische Kultur: Bembo schildert nämlich nicht nur die Essgewohnheiten, Bräuche und Kleidungsvorschriften der Perser, sondern beschreibt auch die Lebenswelten der Zoroastrier und die theologische Streitereien zwischen Christen und Muslimen. Ergänzt wird der Bericht durch Zeichnungen des französischen Künstlers G. J. Grélot, den Bembo in Isfahan getroffen hatte.
3. Kultur und Patronage im safavidischen Persien (drei Beiträge). Sheila Blair (7) rekonstruiert, wie es dazu kam, dass Šāh Ṭahmāsp (reg. 1524-76) den Auftrag erteilte, die beiden berühmten "Ardabiler Teppiche" anfertigen zu lassen. Sie waren eigentlich für ein bestimmtes Gebäude vorgesehen, doch änderten sich offensichtlich die herrscherlichen Pläne, und man sandte die beiden kostbaren Stücke nach Ardabil. Ihre heutige Größe erhielten sie, als 'Abbās am Anfang des 17. Jahrhundert den Schrein erneuern ließ. In dem zweiten Beitrag dieser Sektion zeigt Stephen Blake (8), dass der Umzug der Hauptstadt von Qazvīn nach Isfahan auf Geheiß 'Abbās' I. bereits 1590 und nicht erst 1597/98 geschah. Bis 1592 ließ der Šāh den älteren Teil der Stadt umstrukturieren. 1602 entschied er sich vor dem Hintergrund weitreichender politischer und wirtschaftlicher Reformen, das Verwaltungszentrum lieber in einem gartenähnlichen Bereich im Isfahaner Südwesten zu errichten. Robert Hillenbrand schließlich (9) untersucht ein Meisterwerk islamischer Holzarbeit: den Sarkophag von Šāh Ismā'īl (Regierung 1501-24) in seinem Mausoleum in Ardabil. In vorbildlicher Weise arbeitet der Autor die spät-timuridischen Einflüsse auf das früh-safavidische Kunstwerk heraus.
4. Kunst und Identitäten (drei Beiträge). A.T. Adamova (10) argumentiert anhand einer exakten Werkanalyse, dass der Künstler Muḥammad Qāsim der Ältere, der im späten 16. Jahrhundert arbeitete, und Muḥammad Qāsim, den wir aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kennen, in Wirklichkeit ein und dieselbe Person sind, die 1659 starb. Babara Brend (11) beschäftigt sich mit einem ähnlichen Thema. Sie untersucht Arbeiten, die entweder dem Künstler Mīrzā 'Alī oder dem Maler und Kalligraphen 'Abd aṣ-Ṣamad, einer intellektuellen Schlüsselfigur im mogulzeitlichen Kabul, zugeschrieben werden. Auch sie kommt zu dem Schluß, dass es sich nicht um zwei, sondern um eine Person handelt. Jonathan Bloom (12) beschreibt dann, wie in früh-safavidischer Zeit plötzlich eine illustrierte Prachthandschrift des "Šāhnāmas" auftauchte, die 200 Jahre zuvor angefertigt wurde. Sie diente in der Folgezeit einer Reihe safavidischer Künstler als Folie für ihre eigenen Arbeiten.
5. Kultur, Gesellschaft und Politik in Zentrum und Peripherie (zwei Beiträge). E. Bahari (13) verbindet die Etablierung der Buchariotischen Malschule mit der Eroberung der Stadt Herat 1528 durch 'Ubaydallāh Ḫān (gestorben 1540). Der uzbekische Herrscher schickte die anerkannten Künstler Šayḫ Zāda, Maḥmūd Muzahhib, Mullā Yūsuf und Mīr 'Alī Haravī nach Buchara. Kurz darauf blühte dort die Buchkunst auf: Um 1570 entstanden zahlreiche hervorragend illustrierte Handschriften. Rudi Mathee (14) benutzt hingegen numismatische Funde, um die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie zu zeigen. Er analysiert zahlreiche Münzen, die aus Ḥuvayza im Südwesten des Iran stammen, und stellt fest, dass sie den Mustern der safavidischen Zentralmünzen zwar folgen, aber durchaus regionale Eigenheiten vorweisen, ein eindeutiger Beweis für die unabhängige Position der Muša'ša'-Dynastie vor Ort.
6. Die spirituelle Ebene: Medizin, Handschriften, Geld und soziale Bewegungen (sechs Beiträge). Zuerst geht Shahzad Bashir (15) auf die im 15. Jahrhundert weit verbreiteten messianistischen Bewegungen ein. Insbesondere untersucht er die Nūrbaḫ šiyya, deren Führung allerdings, im Gegensatz zu den Safaviden, den Gebrauch von Waffen ablehnte. Sie lösten sich nach dem Tod des Mahdīs, Muḥammad Nūrbaḫ š im Jahre 1464 innerhalb dreier Generationen auf. Im Anschluß daran weist Jean Calmard (16) nach, dass die schiitischen Religionsgelehrten im 16. und 17. Jahrhundert viel Energie darauf verwendeten, gewisse Formen der Volksliteratur zu unterbinden. Es entstand eine Art Zensur, der unter anderem Šāh Ismā'īls "Dīvān" sowie eine Reihe epischer Gedichte über Muḥammad b. al-Ḥanafiyya, 'Alī b. Abī Ṭālib und Amīr Ḥamza zum Opfer fielen. Ihsan Ishraqi (17) liefert uns dann wichtige neue Informationen über die Nuqṭaviyya während der Safavidenzeit, und Rasul Ja'fariyan (18) bemerkt zu Recht, dass man, obwohl bereits viel über die Migration 12er-schiitischer arabischer Gelehrter nach Iran geschrieben worden ist, dennoch bisher nicht ausreichend die indigene Produktion schiitisch-religiöser Literatur gewürdigt hat. So wurden nämlich schon vor der Einwanderungswelle eine Reihe sehr guter Fiqh-Werke in Kaschan, Sabzavar, Astarabad, Rayy und Tus verfasst. Mit einem späten 'Klassiker' der normativen schiitischen Literatur, nämlich mit dem von al-Maǧlisī (gestorben 1698 oder 1699) verfassten "Biḥār al-anvār", hat sich Andre J. Newman (19) auseinandergesetzt. Schaut man sich in diesem Werk die materia medica einmal ganz genau an, so finden sich, im Gegensatz zu der gängigen Meinung, weder anti-philosophische oder anti-griechische Tendenzen noch Hinweise auf einen der schiitischen Prophetenmedizin inhärenten Fatalismus. Mansur Sifatgol (20) zeigt zu guter Letzt, dass in Zeiten, in denen die Zentralregierung Schulen, Moscheen und andere öffentliche Einrichtungen nicht mehr finanzieren konnte, die frommen Stiftungen (waqf, Pl. awqāf) diese Rolle übernommen haben. Nach dem Tod von 'Abbās I. nahm die Zahl der awqāf rapide zu. Auch unter Šāh Sulaymān (Regierung 1666-94) und Šāh Sulṭān Ḥusayn (Regierung 1694-1722 ) errichteten noch viele Höflinge und Familienangehörige große Stiftungen.
Man sieht, wie breit das Spektrum der gegenwärtigen Safavidenforschung geworden ist. Viele Felder werden beackert, so dass die Ernte insgesamt sehr gut ausfällt. Es fehlt natürlich bei einem solchen Potpourri die musikalische Leitlinie. Aber darum geht es bei diesem Sammelband nicht. Vielmehr wird hier das hohe Niveau unabhängiger Einzelforschung erfolgreich dokumentiert.
Stephan Conermann