Olga Weckenbrock (Hg.): Ritterschaft und Reformation. Der niedere Adel im Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts (= Refo500 Academic Studies; Bd. 48), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 248 S., ISBN 978-3-525-57067-8, EUR 90,00
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Der vorliegende Sammelband vereint Vorträge eines Workshops an der Universität Osnabrück, der im Rahmen des Themenjahres "Reformation Politik" in der Lutherdekade im Oktober 2013 stattfand. Dabei formulierten die Veranstalterinnen und Veranstalter ein hohes Ziel, nämlich "die politische Wirksamkeit der frühneuzeitlichen Ritterschaften des niederen - reichsunmittelbaren wie auch landsässigen - Adels zu untersuchen und aus der Perspektive dieser sozialen Gruppe das Paradigma der 'Fürstenreformation' kritisch zu beleuchten." (7) Grundlage dafür ist die These, dass die Reformationsforschung den Niederadel als (konfessions-)politischen Akteur vernachlässige, indem sie traditionell allein den Landesherren eine überragende Bedeutung zuweise. Natürlich ist es unentbehrlich, in einem einführenden Beitrag die Notwendigkeit der eigenen Tagung zu betonen, aber diese These ist doch etwas pauschal.
Alexander Jendorff betont im ersten Beitrag "Adelsgeschichte oder Reformationsgeschichte? Plädoyer für einen Perspektivenwechsel in der Bewertung niederadliger Religionshaltungen im Reformationszeitalter" den Eigensinn der Adligen bei ihren konfessionellen Entscheidungen: "Die Wahl des Bekenntnisses entsprach dem adligen Eigensinn - dem Anspruch auf Autonomie -, dessen Realisierung zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Wege, Methoden und Entscheidungen bedurfte." (44) Die Bedeutung der Adelsschrift Luthers von 1520 untersucht Martin H. Jung, indem er versucht am Beispiel einiger Adliger, darunter prominent Landgraf Phillip von Hessen, der als Reichsfürst etwas aus der Reihe fällt, die Rezeption bzw. Lektüre der Adelsschrift durch ausgewählte Adlige nachzuweisen. Dabei lässt er sich zu der folgenden Aussage hinreißen: "Ausgerechnet Philipp von Hessen, einer der erfolgreichsten Politiker und Militärführer der Reformation, führte die Reformation in ihre größte Krise. Er war schuld daran, dass es 1546/47 zum großen Krieg des Kaisers und des Papstes gegen die Protestanten kam." (70) Landgraf Philipp die "Schuld" für den Schmalkaldischen Krieg zuzuweisen ist eine steile These, ganz abgesehen davon, dass "Schuld" als Begriff in diesem Kontext unangemessen ist. Vielleicht sollte darauf hingewiesen werden, dass seit dem Wormser Edikt der Friede zwischen Kaiser und Lutheranhängern aufgekündigt war.
Der Ritterschaft im Kraichgau und der Ortenau wendet sich Michael Bühler zu. In seinem Beitrag reduziert er die Reformation auf die Entscheidung einzelner Adliger. Hier finden sich Aussagen zu Teilnehmern an der Heidelberger Disputation, "unter denen nicht nur einige spätere lutherische Prediger waren, sondern vermutlich auch Angehörige des Kraichgauer Niederadels, die in Heidelberg immatrikuliert waren". (82) Ähnlich heißt es zum Wormser Reichstag: "Bei diesem Ereignis waren zweifellos zahlreiche Niederadlige des Kraichgaus anwesend und konnten so wiederholt oder auch erstmals die Wirkung Luthers und seiner Worte direkt erfahren." (ebd.) Aus "vermutlich" und "zweifellos" werden in diesem Satz Tatsachen abgeleitet. Ganz grundsätzlich hilft in unserem Fach gegen "vermutlich" und "zweifellos" ein Blick in die Quellen. Eben das hätte dem gesamten Beitrag gutgetan.
Dem Adel Thüringens in der frühen Reformationsepoche wendet sich Martin Sladeczek zu. Er betont, dass selbst im Kernland der lutherischen Bewegung der Adel nicht in seiner Gesamtheit mit wehenden Fahnen zur Reformation überging. Letztlich sorgte aber die fürstliche Herrschaft dafür, dass die Reformation in den ernestinischen und albertinischen Gebieten Thüringens durchgesetzt wurde.
Der Adel des Stifts Osnabrück wird in dem Beitrag "Erhalt von Herkommen und Gebrauch. Osnabrücker Ritterschaft und die 'Fürstenreformation' des Fürstbischofs Franz von Waldeck" von Olga Weckenbrock als Sozialgruppe beschrieben, die sich zusammen mit dem Domkapitel gegen die Reformationsversuche des Fürstbischofs und der Stadt Osnabrück wandte, da die Adligen dadurch ihre Rechtsposition in Gefahr sahen. Wencke Hinz will unter dem Titel "Die Reformation im Fürstentum Lüneburg" den "Versuch eines Perspektivenwechsels" unternehmen, und zwar von einer angeblichen traditionellen Reformationsgeschichtsschreibung, die ausschließlich auf den Fürsten als reformatorischen Hauptakteur abzielt, zu einer Reformationsgeschichtsschreibung, die den Adel in den Blick nimmt. Sie kommt dabei zu dem Schluss: "Eine eigenständige Initiative, die Reformation im Fürstentum Lüneburg einzuführen, hatte es von Seiten des niederen Adels nicht gegeben. Vielmehr reagierten die Adeligen nur auf die entsprechenden Forderungen ihres Landesherrn, die sich zentral im Landtragabschied vom Sommer 1527 wiederspiegeln und der die Grundlage für die Einführung der neuen Lehre legte." (166)
Inken Schmidt-Voges hebt in ihrem Beitrag "Religionsfrieden als politische Ratio. Heinrich Rantzau und die Konfessionspolitik der schleswig-holsteinischen Ritterschaft im 16. Jahrhundert" die Komplexität der politischen und konfessionellen Entscheidungen der Ritterschaft im späten 16. Jahrhundert hervor, Josef Hrdličk wendet sich sodann in seinen Ausführungen über die "Ritterschaft und die deutsche Reformation in Böhmen und Mähren (1520-1620)" einer Adelsgruppe zu, die weit autonomer handeln konnten als die Niederadligen im Reich. In diesem Sinne waren sie tatsächlich die wichtigsten Akteure im reformatorischen Prozess.
Andreas Flurschütz da Cruz betont in seinem Beitrag über "Die Bedeutung der Reichsritterschaft für Reformation und Gegenreformation in Franken im 16. und 17. Jahrhundert" die Orientierung des Adels an mächtigen Fürsten. Stellten sich die Adligen im späten 16. Jahrhundert mit ihren konfessionellen Entscheidungen gegen die geschwächten fränkischen Bistümer, so unterstützten sie nach dem Dreißigjährigen Krieg die gegenreformatorischen Maßnahmen der Würzburger Bischöfe.
In dem Sammelband ist viel von neu und alt, von Perspektivwechsel und neuen Sichtweisen auf die alte Forschungsfrage nach den Gründen für den Erfolg und Misserfolg der reformatorischen Bewegung die Rede. Dabei können nicht alle Beiträge überzeugen. Letztlich bleibt als Ergebnis doch wieder nur die Einsicht, dass der Adel sich weitgehend an den Entscheidungen der Fürsten orientierte, wie es Volker Press schon vor vielen Jahren formuliert hat.
Thomas Fuchs