Birgit Aschmann / Heinz-Gerhard Justenhoven (Hgg.): Dès le début. Die Friedensnote Papst Benedikt XV. von 1917 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe C: Themen der kirchlichen Zeitgeschichte; Bd. 2), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, 378 S., ISBN 978-3-506-70272-2, EUR 79,00
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Anlässlich des 100. Jahrestages seines Beginns bzw. seines Endes war der Erste Weltkrieg in den vergangenen Jahren ein Schwerpunkt der Forschung wie auch des öffentlichen Interesses. Vielerlei Aspekte haben in diesen Jahren das Interesse aller erweckt. Allein: Es ist aus der Rückschau erstaunlich zu sehen, wie wenig dabei die Frage einer Beendigung des Krieges thematisiert worden ist. Dies gilt sowohl für die zaghaften Versuche der Staaten selbst wie auch für die Stockholmer Friedenskonferenz der Sozialisten 1917, Bethmann Hollwegs "Friedensangebot" vom Dezember 1916 und Wilsons Vermittlungsversuche vom Januar 1917. Auch die Friedensnote des Papstes ist im Grunde fast "untergegangen". Keine Frage: Angesichts ihres Scheiterns hat die Frage nach den Alternativen nur wenige interessiert. Allein der hier vorzustellende Sammelband, der die Vorträge einer interdisziplinären Tagung in Berlin zusammenfasst, hat sich der vergessenen Initiative des Papstes, Benedikt XV., gewidmet.
Diese Initiative, dies machen die Herausgeber bereits ihrer Einleitung deutlich, ist nicht nur zu Unrecht vergessen worden, sondern sie enthält gleichsam auch Aspekte, die bis heute bedenkenswert erscheinen. Was ist damit gemeint? Zunächst einmal, weil sie tatsächlich einen Ausweg aus den Schrecken aufgezeigt habe. Dann, weil die Initiative auch als "Spiegel der damaligen Kriegsgesellschaften" dienen könne. So zeigten die Reaktionen aus der Rückschau, wie friedensbereit die verschiedenen Gesellschaften tatsächlich gewesen seien. Last but not least lohne eine "Auseinandersetzung [...], weil sie zwar nicht den erwünschten Erfolg hatte, aber dennoch keineswegs folgenlos geblieben ist." Moralisch habe sie den US-Präsidenten gezwungen, sich als "moral player" zu positionieren. Kirchengeschichtlich habe sie den Wandel des Papsttums von einer weltlichen zu einer moralischen Instanz zementiert. Die bis heute andauernden Diskussionen über "gerechte Kriege" seien ein Ergebnis dieses Transformationsprozesses.
Die insgesamt zehn Beiträge werfen unterschiedliche Schlaglichter auf verschiedene Aspekte der Friedensnote. Ein Dokumententeil enthält zudem wichtige neue Quellen aus den vatikanischen Archiven.
Birgit Aschmann lotet in ihrem Beitrag noch einmal die Motive und Chancen der päpstlichen Initiative aus. Sie weist darauf hin, dass diese den Krieg eher verschärft als zu dessen Beendigung beigetragen habe. Indem sie, und darin liegt eine bittere Ironie, den amerikanischen Präsidenten Wilson gezwungen habe, den Eintritt der USA moralisch noch stärker als zuvor als "gerechten Krieg" zu legitimieren, habe die Note zu einer weiteren ideologischen Aufladung des Konflikts beigetragen, die einen Kompromissfrieden de facto endgültig unmöglich gemacht habe. Daran ist zweifellos viel Wahres, auch wenn sie die Bereitschaft auf deutscher Seite, seit Ende 1917 auf Sieg zu setzen, vielleicht etwas unterschätzt.
Die Beiträge von Marco Schrage und Heinz-Gerhard Justenhoven befassen sich mit unterschiedlichen Ideen und Ideengebern, die Papst Benedikt XV. beeinflusst haben. Beide arbeiten deutlich heraus, wie sehr der Jesuit Luigi Taparelli d'Azeglio, dessen Naturrechtslehre auch einen Gerichtshof vorsah, und Leo XIII. den Papst beeinflusst haben. Ebenfalls aus ideengeschichtlicher Perspektive nähert sich John Pollard der päpstlichen Initiative. Im Zentrum seines Beitrages steht die Frage nach der Bedeutung von Nation, Nationalismus und Rasse in der Politik des Papstes und seiner engsten Berater. In seiner Analyse wird der Spagat deutlich, den der Papst zu machen versuchte. Einerseits erkannte er die Sprengkraft des Nationalismus, andererseits war er aber auch überzeugt, dass Nationen und Nationalstaaten wichtige Akteure seien, an denen kein Weg vorbeiginge. Diese Inkohärenzen hätten dazu beigetragen, dass die behauptete Überparteilichkeit des Papstes nur teilweise glaubhaft gewesen sei.
Christopher Dowe rekonstruiert in seinem Beitrag noch einmal die Rolle des Zentrums in diesem Geflecht widerstreitender Interessen: Zum einen die Stellung des Zentrums und der deutschen Katholiken im Reich, zum anderen die Absichten des Papstes auf internationaler Bühne. Die Verschränkung, die er dabei herausarbeitet, zeigt deutlich, wie sehr das Zentrum, das im Sommer 1917 einen Kompromissfrieden herbeiführen wollten, mit seiner aktiven Rolle beim Sturz Bethmann Hollwegs selbst dazu beigetragen hat, die Initiative des Papstes zu torpedieren und damit zugleich auch die Partei selbst in ein fragwürdiges Licht zu stellen. Denn mit deren Scheitern wurde Erzberger, maßgeblicher Strippenzieher hinter den Kulissen, endgültig zur Zielscheibe der Kritik aller protestantischen Siegfriedensvertreter.
Thomas Schulte-Umberg beleuchtet am Beispiel von "katholischer Feldpastoral und Kriegsmoral" die große Diskrepanz zwischen der Friedensethik des Papstes und der "Moral der Soldaten", die das Morden irgendwie rechtfertigen mussten. Eindrucksvoll beschreibt er die Relevanz von Religion zur Kontingenzbewältigung und bei der Suche nach Sinnresourcen in einem Krieg, den viele als grausam empfanden. Deutlich arbeitet er dabei heraus, wie sehr auch kirchliche Vertreter bemüht waren, Religion und nationales Interesse auf einen Nenner zu bringen.
Dominik Schindler zeigt am Beispiel des Münchener Erzbischofs Michael v. Faulhaber, wie sehr führende Vertreter des deutschen Episkopats versuchten, dem Krieg einen Sinn zu geben. Für Faulhaber war der Krieg geradezu "das Schulbeispiel eines gerechten Krieges". "Extremer", so urteilt Schindler zu Recht, "konnte die Diskrepanz zur Verurteilung des Krieges durch den Papst kaum ausfallen."
Die langfristigen Nachwirkungen der Friedensinitiative stehen im Mittelpunkt der Beiträge von Klaus Große-Kracht und Markus Thurau. Während Große-Kracht den Einfluss Benedikts XV. auf das linkskatholische Milieu und dessen Friedensethik nachweisen kann, macht Markus Thurau deutlich, dass deutsche Offiziere, allen voran der damalige Generalinspekteur Heinz Trettner, während des Zweiten Vatikanischen Konzils massiv versucht haben, für die Idee des "gerechten Krieges" auch im Atomzeitalter zu werben. Zugleich hätten sie der Idee von Schiedsgerichten eine klare Absage erteilt, da sie diese für zu "utopisch" gehalten hätten.
Insgesamt handelt es sich bei diesem Sammelband um ein sehr lesenswertes Kompendium sowohl für Historiker als auch für Theologen und Kirchenhistoriker. Er macht zugleich deutlich, wie fruchtbar es sein kann, auch gescheiterte Initiativen gerade aus der Längsschnittperspektive in den Blick zu nehmen.
Michael Epkenhans